Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Pilgern. Die Streckenführung war heute außerordentlich schön, überwiegend querfeldein und auf schmalen, dicht umwachsenen Trampelpfaden führte mich der Camino Kilometer um Kilometer näher an Santiago heran. Nach zwei Stunden hatte ich meine beiden Bekannten eingeholt. Sie mussten es deutlich langsamer angehen lassen.
In Châlus erhielt ich wieder einmal etwas Geschichtsunterricht. Hier wurde im Jahr 1199 der legendäre Richard Löwenherz bei der Belagerung der strategisch bedeutenden Burg von einem vergifteten Armbrustpfeil getroffen und starb wenig später im „zarten“ Alter von nur 41 Jahren. Die Ruine der damals so bedeutenden Burg thront heute noch gut sichtbar über der Stadt. Wenig später überschritt ich die Departementgrenze der Dordogne und betrat damit das nächste Weinanbaugebiet, das Périgord. Zu sehen war davon freilich noch nichts. Gerade als mir nach einer Pause gelüstete, tauchte mitten im Wald ein schöner See vor mir auf. Selbstgebaute Bänke und Tische luden mich ein, hier ausgiebig zu picknicken. Irgendjemand meint
es gerade wirklich gut mit mir. Habe ich einen kleine n Wunsch, dauert es meist nicht lange und er wird mir erfüllt. So empfinde ich es jedenfalls im Moment. Der See ist ein echtes Kleinod, welches ich am liebsten gar nicht mehr verlassen hätte. Erst als die Sonne plötzlich hinter Wolken verschwand, setzte ich mich wieder in Bewegung. Auf einer Lichtung sah ich, dass es sich komplett zugezogen hatte. Mensch, ging das schnell! Als ich ankam, war der Himmel noch blau.
Hinter dem See ging’s weiter durch sumpfiges Gebiet, teilweise war zwischen mannshohem Gras und Gestrüpp der Pfad kaum zu erkennen, ich musste aufpassen, dass meine Füße nicht im Morast versanken. Auf diesem Stück wurde ich von so vielen Libellen umschwirrt, wie ich es vorher noch nie erlebt habe. Es müssen hunderte, wenn nicht gar tausende gewesen sein, ein faszinierender Anblick. Nach einem kurzen Stück Straße ging’s gleich auf den nächsten schmierigen Pfad. Inzwischen schien die Sonne wieder. So schnell wie die Wolken hereingezogen waren, hatten sie sich wieder verzogen. Hinter Firbeix wurde ich von einem mir unbekannten Fahrradpilger mit meinem Namen angesprochen. Der junge Mann sah die vielen Fragezeichen auf meiner Stirn und klärte mich sogleich auf, dass er meinen Namen von Pierre und Gaston hatte, die er ein paar Kilometer vorher überholt hatte. Klar, von wem auch sonst?
Jonas heißt der Pilger, mag vielleicht Ende 20 sein, kommt aus Wolfsburg und ist erst vor 5 Tagen in Vézelay gestartet. Wahnsinn, wie schnell das mit dem Fahrrad geht. Bereits am 16.06. wird er sich schon wieder auf dem Rückflug von Santiago nach Hause befinden. Er beklagte sich sehr über den Reiseführer, mit dem er als Fahrradpilger in der Tat nicht sonderlich gut bedient ist. Für mich als Fußgänger ist er bei weitem besser als sein Vorgänger, wenngleich er längst nicht ohne Fehler ist. Durch die meist vernünftige Markierung auf dem Weg hinkt ein Vergleich aber, da ich längst nicht so sehr auf die Beschreibungen im Buch angewiesen bin, wie auf dem ersten Abschnitt in Frankreich. Jonas machte auf mich einen top-sportlichen Eindruck, ich bin sicher, dass er seinen Zeitplan problemlos einhalten kann. In 4 oder 5 Tagen wird er schon Spanien erreichen... .
Nach einer kurzen Unterhaltung verabschiedeten wir uns, Jonas wollte heute noch bis Sorges weiterfahren. Das habe ich mir für morgen vorgenommen. Klar, dass wir uns unter normalen Umständen nicht mehr begegnen werden. Auf meinem weiteren Weg, der teils matschig durch dichtes Buschwerk führte, sah ich die Reifenspuren von Jonas’ Bike. Das war hier richtiges Cross-Biking und bestimmt eine ordentliche Plackerei, gerade da es überwiegend bergauf ging.
Später, wieder auf befestigten Straßen, passierte ich mit St.-Pierre-de-Frugie ein wunderhübsches Dörfchen, eingerahmt von blühenden Wiesen eine echte Kalenderblattidylle. Ein paar Kilometer weiter stoppte ich in Sainte-Marie-de-Frugie am Kloster eines alten Schwesternordens, um mir einen Stempel für den Pilgerausweis zu holen. Eine bestimmt 80 Jahre alte Nonne machte mir die Tür auf und war überrascht, dass ich alleine kam. Sie erwartete 2 Pilger, die hier für eine Nacht ein Zimmer reserviert hatten. Bestimmt Gaston und Pierre. Mit meinen wenigen Brocken Französisch fiel es mir natürlich schwer, ihr begreiflich zu machen, dass ich nicht einer von denen war, die sie erwartete.
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