Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
aufhörte und erste Lichtstrahlen durch die dunklen Wolken drangen. So richtig nach Besserung sah das aber nicht aus. Es war mir klar, dass heute immer wieder mit Schauern zu rechnen war. Wahrscheinlich würde ich am Nachmittag in Sorges als begossener Pudel ankommen, wenn nicht Thiviers schon Endstation sein sollte, so malte ich es mir aus. Der Tag wird’s zeigen, sah ich den Wetterfaktor gelassen. Zunächst nahm ich das im Preis inbegriffene Frühstück in Anspruch. Ich war der einzige Gast in dem verqualmten Café, aber allein der Kaffee lohnte den Besuch. Die Inhaberin saß wie gestern auf ihrem Stuhl, rauchte sich eine Zigarette nach der anderen und las gelegentlich ein paar Seiten in
ihrem dicken Schmöker. Besonders spannend schien der nicht zu sein, sonst hätte sie ihn nicht ständig wieder zur Seite gelegt. Sie wirkte fahrig auf mich. Zwar sprach sie kaum Englisch, trotzdem zwängte sie mir ein „Gespräch“ auf. Verstehen im Einzelnen konnte ich nichts, aber je mehr sie redete, desto mehr erschlossen sich mir die Zusammenhänge. Eigentlich schimpfte sie nur. Auf den Euro, den Staat, die EU, das System, die Politiker usw. Sie redete sich mehr und mehr in Rage, Antworten erwartete sie von mir keine, sie führte einen reinen Monolog. Vielleicht hört ihr sonst selten jemand zu, dachte ich. Keine Ahnung. Sie selbst schien der Mumm verlassen zu haben, ich machte einen gehörigen Schuss Verbitterung bei ihr aus. So wie ich sie reden hörte, liegt die Schuld an allen Missständen nur bei den Anderen, nie bei ihr selber. Ich schätzte sie auf Mitte/Ende 40. Sie muss mal eine schöne Frau gewesen sein, ihre Figur ist immer noch tadellos, passt nur so gar nicht mehr zu ihrem fahlen, freudlosen Gesicht. So wie sie sich bewegte, könnte sie früher mal als Model gearbeitet haben.
Als sie mit ihrer Schimpfkanonade fertig war, sank sie in ihren Stuhl und schaute mit frustriertem Blick ins Leere, so als würde sie sich einem unvermeidlichen Schicksal ergeben. Mir war so, als hätte ich soeben einen tiefen Blick in die Seele dieser Frau geworfen. Sie tat mir in diesem Moment irgendwie leid. Vielleicht steht die Frau ihrem eigenen Glück nur selbst im Weg, hat den Schlüssel dazu, weiß es aber nicht. Sie sucht ihn lieber bei den Anderen. Die haben aber ihrerseits genug damit zu tun, den Schlüssel zu ihrem eigenen Glück zu finden. Wahrscheinlich, weil auch sie woanders suchen... .
Ja, ja, das Leben...! Es meint es eigentlich gar nicht schlecht mit uns. Wir glauben es nur mitunter. Die Frau hat es geschafft, mir ein Thema mit auf den Weg zu geben. Als ich ihn nach 8 Uhr startete, war es trocken, zumindest von oben. Fragte sich nur wie lange. Ich beschloss, aufgrund der Witterung vom beschriebenen Streckenverlauf abzuweichen und heute nur über geteerte Straßen zu laufen. Hatte keine Lust, mir auf feuchten Feldwegen die Füße wieder wund zu laufen.
Warum machen wir uns das Leben nur so schwer? Bei der Suche nach Ursachen und Lösungen kreisten meine Gedanken im Schleudergang. Mal war die Welt schlecht, mal war sie schön, mal beides gleichzeitig. Irgendwie ist es wohl auch so. Eins ist die Welt jedoch ganz sicher nicht: Gerecht! Das war sie noch nie und das wird sie auch nie sein! Es gibt einfach zu viele (häufig mächtige) Menschen, die da etwas gegen haben. Wem es gelingt, sich damit abzufinden, dem gelingt es auch, ein angenehmes Leben zu führen, ob mit viel oder wenig Geld. Es liegt an jedem selbst. Sich von ein paar gesellschaftlichen und materiellen Zwängen zu befreien, wäre da ein erster Schritt, wie ich finde. Zugegeben, in unserem heutigen Umfeld nicht ganz einfach, aber bestimmt eine lohnenswerte Aufgabe. Das Korsett wird danach gleich viel weniger eng sein. Und möglicherweise verschwinden dadurch sogar ein paar Ängste, wäre doch schön!
Wer jedoch meint, an allem Wohlstand, den die Welt inzwischen zu bieten hat, partizipieren zu wollen, der muss begreifen, dass das nur funktioniert, wenn man sich dafür mächtig das Hinterteil aufreißt. Mit ewigem Gemecker, und sei es manchmal in der Sache noch so zutreffend, erreicht man nichts und zermürbt sich letztlich nur selbst. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als die Mechanismen zu akzeptieren, auch wenn viele davon Scheiße sind!!
Leider gibt es eine viel zu große Anzahl Menschen auf dieser Welt, die nicht die Wahl haben, sich auszusuchen, welches Leben sie führen wollen, denen es an existenziellen Dingen fehlt, und die
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