Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Frühstückstisch war durch diese beruhigenden Eindrücke schnell vergessen. Danach wurde ich körperlich gefordert. Ein langer Anstieg trieb mir erste Schweißperlen auf die Stirn, dafür belohnte mich ein ausgedehnter Höhenweg im Anschluss mit grandiosen Ausblicken. Man könnte meinen, irgendwann wird einem das langweilig, aber das Gegenteil ist der Fall, ich begeistere mich jeden Tag aufs Neue, kann gar nicht genug davon bekommen. Ich bin wirklich aus tiefstem Herzen dankbar, all das erleben zu dürfen! Ob es grundsätzlich erforderlich ist, sich für ein Erleben dieses Gefühls vom alltäglichen Leben abzukapseln? Es ist wohl eher so, dass die große Kunst darin besteht, ein alltägliches Leben zu führen, welches einem
ein derartiges Empfinden dauerhaft oder zumindest häufiger ermöglicht. Ich brauche
dafür zurzeit noch den Weg.
Komisch, ich musste in diesem Zusammenhang an Top-Manager denken, die gerade an irgendeinem Konferenz- oder Schreibtisch in ihrem gut gepolsterten Ledersessel hoch über den Dächern der Metropolen dieser Welt sitzen und mit Millionen- bzw. Milliardensummen jonglieren, vielleicht gerade in diesem Moment ein Stellenabbauprogramm beschließen, um die Rendite ihres Konzerns zu erhöhen. Ich dachte an die ganzen Anwälte, die gerade Prozesse führen, weil es viel zu viele Menschen gibt, die sich über Belanglosigkeiten streiten und nicht in der Lage sind, ihre kleinen Probleme untereinander zu lösen. Stattdessen werden große Scherbenhaufen produziert, die oft nicht wieder vollständig aufgekehrt werden können. Recht zu bekommen schafft vielleicht eine kurze Genugtuung, aber gibt es auch wirkliche und dauerhafte Zufriedenheit, aus dem Herzen empfundenes Glück? Wohl eher nicht! Was ist mit den Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz gerade Kollegen schikanieren, um ihre eigene Position zu stärken, was mit denen, die gerade im privaten Umfeld jemanden bloßstellen? Was für eine Form der Befriedigung gibt einem das?? Mir will das nicht in meinen eigentlich großen Schädel, dessen Hirn aber offensichtlich zu klein ist, das zu begreifen! Warum sind wir nicht in der Lage, unser Leben in etwas größerem Einklang miteinander zu verbringen, statt immer nur gegeneinander zu operieren? Warum ist es so schwer, uns selber etwas weniger wichtig zu nehmen? Wo ist das Problem? Es ist wohl ein Rattenschwanz an Gründen, der Menschen so werden lässt, wie sie sind, eine pauschale Ursache gibt es dafür nicht. Werde aber jetzt ganz sicher nicht beginnen, entsprechende Forschungen anzustellen. Das kann nur jeder bei sich selbst, indem er sich und sein Handeln ehrlich reflektiert. Immer nur von anderen zu erwarten, sich oder etwas zu ändern, funktioniert nicht. Nun, scheinbar ist der Griff an die eigene Nase ganz schön schwer… .
Vielleicht sollten noch viel mehr Menschen mal auf Pilgerreise gehen. Schaden würde es bestimmt nicht. Wie auch immer, ich bin jedenfalls sehr froh, jetzt genau auf dieser Reise und nirgendwo anders zu sein. Dass ich selbst noch eine Menge zu lernen habe, erfahre ich jeden Tag aufs Neue, meist sogar völlig schmerzfrei!
Bevor ich in den Dunstkreis der Großstadt gelangte, wurde ich noch einmal richtig verwöhnt. Mein Weg führte durch 2 kleine Bauerndörfer, die so idyllisch, beinahe kitschig inmitten wild wuchernder Natur lagen, dass ich hätte heulen können. Etwas so uriges und windschiefes habe ich bisher selbst in Frankreich noch nicht gesehen. Ein Streifzug durch eine vollkommen andere Welt. Einfach zu schön!
Im Gegensatz zu gestern fand ich heute ohne langes Suchen ein schattiges Pausenplätzchen auf der bröckelnden Mauer einer verlassenen alten Villa. Bei fast hochsommerlichen Temperaturen tankte ich Kraft für den weniger schönen „Einmarsch“ nach Limoges. Er war genau so, wie man es bei einer Großstadt eben erwarten kann. Laut, dreckig, stinkig! Über breite Straßen, vorbei an Industrieanlagen arbeitete ich mich hinunter zum grünen Flussufer der Vienne mit der historischen und sehr fotogenen Pont Saint-Etienne, die zu den ältesten erhaltenen Bauwerken auf dem französischen Teil des Jakobsweges zählt. Wirklich sehenswert! Unabhängig davon fasste ich dort ganz spontan den Entschluss, in Limoges keinen Ruhetag einzulegen. Alles in und an mir, inklusive meiner Beine, will weitergehen! Limoges ist mir eine Nummer zu groß. Als normaler Städtereisender würde ich mich vielleicht wohlfühlen, nicht so als Pilger.
Limoges bietet ein
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