Aber bitte mit Sake
Das Fleisch ist dünn, dunkel und an den Rändern leicht gewellt, es hat von der Form her tatsächlich verdammt große Ähnlichkeit mit einer Zunge. Ich wende den Blick ab und inspiziere den Inhalt der großen Schale. In einer schaumigen Flüssigkeit schwimmen weiße viereckige Klumpen.
»Und was ist das?«, frage ich etwas verunsichert.
»Das ist Tofu.« Ich werfe erneut einen Blick auf die Speisen, die vor mir auf dem Tisch stehen, und sehe keine Möglichkeit, aus dieser Situation herauszukommen, ohne selbst nach deutschen Maßstäben das Gesicht zu verlieren. Ich kenne mich noch nicht genug mit den japanischen Gepflogenheiten aus; aber womöglich gilt es als grob unhöflich, bestimmte Speisen abzulehnen, daher werde ich also zumindest alles einmal probieren. Ich atme tief durch und will gerade nach meinen Stäbchen greifen, als Kimiko und ihre Eltern die Hände vor der Brust falten. Schnell mache ich es ihnen nach.
»Itadakimas« , sagen sie im Chor. Ich vermute, das heißt so viel wie Guten Appetit . Später erfahre ich, dass es in japanischer Höflichkeitssprache so viel heißt wie Ich greife zu . Kimikos Vater nimmt sich eine der großen Rinderzungen und reicht mir den Teller herüber. Unbeholfen versuche ich, mir mit den Stäbchen einen der tierischen Schlabberlappen zu angeln, aber es klappt nicht. Mit den Hashi zu essen, war noch nie meine Stärke.
»Du musst eines der Stäbchen zwischen Mittel- und Ringfinger platzieren, das andere kannst du mit Daumen und Zeigefinger festhalten«, erklärt mir Kimiko. Ein Königreich für eine Gabel! Kimiko greift über den Tisch und legt mir die Holzstäbe richtig in die Hand, dann macht sie mir die Bewegung vor, mit der man die Hashi öffnet und wieder schließt. Nachdem ich ein paar Minuten geübt habe, schaffe ich es zumindest, das Fleischstück vor mir hochzuheben. Beim Anblick der Zunge dreht sich mir fast der Magen um. Überraschenderweise schmeckt sie gar nicht so schlecht, das Fleisch ist zarter als gedacht und scharf gewürzt. Dennoch kann ich mich nicht von dem Gedanken frei machen, dass ich gerade auf einer Zunge herumkaue. Kimiko scheint bemerkt zu haben, wie sehr ich mich quäle, denn während ich das Fleisch herunterwürge, blickt sie mich mitleidig an.
»Keine Sorge. Du musst die Zunge nicht essen, wenn du sie nicht magst. Wir Japaner erwarten das nicht. Wir haben eben einen anderen Geschmack als ihr, aber sind stolz darauf! Schließlich verschafft uns unsere Esskultur eine Sonderstellung, die wir durchaus genießen!« Ich nicke dankbar und wende mich dem Tofu zu, der in der schaumigen Brühe vor sich hindümpelt. Ich versuche, ihn mit Stäbchen zu greifen, mehrfach fällt er mir in die süßliche Sauce, die Kimiko mir dazu gereicht hat. Schon nach kurzer Zeit zieren zahlreiche Spritzer mein weißes Hemd. Japanisches Essen ist eine echte Herausforderung!
Nach der Vorspeise entschuldige ich mich kurz und suche das Bad auf, vor dessen Tür ein paar Schuhe stehen. Etwas unschlüssig starre ich sie an. Offenbar muss man auch in andere Schlappen steigen, wenn man auf die Toilette geht, was ich, solange ich allein war, geflissentlich ignoriert habe. Aber als Gast muss ich mich wohl oder übel daran halten. Ich wechsle mein Schuhwerk, betrete den Raum und erschrecke, denn der Klodeckel öffnet sich automatisch. Und beheizt ist er auch noch. Das nenne ich Luxus! Auch sonst scheint das Modell ein echtes Hightech- WC zu sein. Ich vermute, dass sich hinter einem der zahlreichen Knöpfe eine Bidetfunktion verbirgt, zumindest lässt das darauf abgebildete Symbol darauf schließen. Daneben befindet sich eine Buchse, an der man offenbar Kopfhörer anschließen kann. Misstrauisch starre ich auf das Klo. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man mit diesem Aggregat, wenn man es richtig bedient, auch zum Mond fliegen kann. Aber aus Angst, etwas falsch zu machen, verzichte ich darauf, die verschiedenen Funktionen auszuprobieren, und kehre, nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, ins Wohnzimmer zurück. Ich hoffe, dass die Hauptspeise nicht genauso exotisch ausfällt wie der erste Gang, sonst muss ich noch mal umkehren und mich von der Schleudersitzfunktion, mit der die Toilette sicher auch ausgestattet ist, durch das Fenster hinauskatapultieren lassen. Kimikos Vater starrt mich an. Sein Blick ist auf meine Füße gerichtet, entgeistert verharrt er dort einen Moment, bevor er betreten zur Seite schaut und so tut, als hätte er mein Kommen nicht bemerkt. Kurz bin ich
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