Aber dann kam der Sommer
gewesen, und die Nachfeier beim Herrn Rechtsanwalt hätte sich in die Länge gezogen. Lönnedal hätte eine Weile im Wagen gesessen, doch es wäre darin sehr kalt geworden. Er sei dann ausgestiegen und eine Zeitlang hin und her gelaufen, um warm zu werden. Aber dabei hätte er noch mehr gefroren. Die Gesellschaft schien ihn völlig vergessen zu haben. Die Herren seien sehr vergnügt gewesen, als sie endlich wieder in den Wagen gestiegen wären. Einer von ihnen sei gestolpert und der Länge nach hingefallen.
„Aber es war nicht der Herr Leutnant!“ beeilte sich Margit hinzuzufügen.
Ich schämte mich unsagbar für unsere Gäste. Ich klopfte an Lönnedals Tür. Ich gab ihm kochendheiße Milch mit Ei und Kognak und fühlte seinen Puls. Dann rief ich Doktor Bogard an. Es sei eine schwere Grippe, sagte der Doktor. Margit bekam Anweisungen über Pflege und Medizin.
Nun hatte ich weiterhin etwas zu tun. Marie war zwar inzwischen wiedergekommen, aber sie mußte noch sehr geschont werden. Also blieb es dabei, daß ich mich in der Küche nützlich machte und auch hier und da den Hausmädchen half. Im Grunde war ich recht froh darüber.
Lönnedals Krankheit verfinsterte Tante Agnetes Laune bis zur Rabenschwärze. Eine Hilfe war es allerdings, daß Roar sich erbot, sie zu fahren, wenn sie Besorgungen machen wollte.
Für sie war anscheinend Lönnedals Krankheit, ebenso wie die von Marie, nur in Szene gesetzt worden, um sie zu ärgern. Ich wurde gescholten, weil ich den Doktor angerufen hatte, ohne die Tante zu fragen. Als ich erklärte, daß es dem Mann wirklich sehr schlecht ginge, bekam ich noch mehr Schelte. Ich ertrug es mit Fassung und war überhaupt niemals mehr böse auf die Tante. Längst hatte ich gelernt, sie zu nehmen, wie sie war, und sie austoben zu lassen, denn sie besaß ja trotz allem im Grunde ein gutes Herz.
Aber auf einen Menschen war ich wütend, und das war Roar. Sobald ich ihn einmal unter vier Augen hatte, gab ich ihm Bescheid. Er solle sich schämen, sagte ich, er und Ph und die anderen. Wollten sie noch eine Nachfeier haben, so war das all right. Aber dann hätten sie Lönnedal nach Hause schicken oder ihn mit hinaufnehmen sollen.
Anfangs lächelte Roar dazu, dann blickte er sehr verwundert drein, und schließlich wurde er böse.
„Hör mal zu, Unni, du willst doch wohl nicht damit sagen, daß du es mir mißgönnst, mich mit meinen Freunden zu amüsieren?“
„Quatsch! Davon rede ich gar nicht. Amüsier du dich, soviel du willst, aber nicht auf Kosten eines anderen, selbst wenn dieser andere ,nur’ ein Chauffeur ist.“
„Na, so ein Blödsinn! Ist es meine Schuld, wenn der Mann nicht dafür sorgt, daß er warm genug angezogen ist? Ich bin nicht so dumm, daß ich dich nicht verstehe. Die Sache mit Lönnedal ist natürlich nur ein Vorwand. Wie alle echten Frauensleute bist du bloß eifersüchtig, wenn der Mann mal sein Vergnügen auf einem Herrenabend haben will.“
„Roar! Du beschuldigst mich also einer Lüge?“
„Sag mal, willst du absolut streiten? Was ist denn mit dir los? Ich glaube, du warst gestern zu lange auf; du hast es wohl nötig, dich mal auszuschlafen. Kein Wunder, daß du nervös wirst, wenn du ständig zuwenig schläfst.“
Ich gab es auf und tröstete mich damit, daß Roar mich ja liebte. Später, wenn wir verheiratet waren, würde ich ihm mit der Zeit seine Schwächen und Fehler schon austreiben können.
Wäre ich etwas vernünftiger gewesen, hätte ich sofort begriffen, daß dies das erste ernste Anzeichen für die Notwendigkeit war, Roars und mein Verhältnis zueinander gründlich zu prüfen. Aber an so etwas denkt man eben nicht, wenn man mit einem hübschen Leutnant verlobt ist, der einem auch noch einen Diamantring verehrt hat.
*
Wir waren zu einer Party bei Doktor Bogard. Ausnahmsweise war der Doktor diesmal daheim. Er schwieg wie immer und blickte mit seinem unveränderlichen Lächeln auf seine schöne Frau.
Plötzlich wandte sich Frau Rawen an ihn: „Herr Doktor, ist es wahr, daß Sie in Ihrem Labor lauter Meerschweinchen und weiße Mäuse haben, die Sie aufschneiden, um mit ihnen zu experimentieren?“
Der Doktor warf ihr einen flüchtigen Seitenblick zu.
„Angenommen, es wäre so“, sagte er, „was dann?“
„Um Himmels willen, Herr Doktor Bogard, Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Sie wirklich Vivisektion betreiben?“
Das Wort Vivisektion ließ die Unterhaltung wie einen Wasserfall aufbrausen. Alle hatten etwas dazu zu sagen, und
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