Aber dann kam der Sommer
nicht weiter darüber nachdenken. Jetzt wollte ich mein Dasein genießen. Ich setzte Dyveke in Galopp, zuerst bergauf, dann die ebene Landstraße entlang. Ach, war das wunderbar! Ich kitzelte die Stute leicht mit den Sporen. Sie schnaubte, griff aus, ich beugte mich vornüber, und dann jagten wir in Karriere dahin. Ich fühlte geradezu, wie wir die Kilometer fraßen.
Da war ein Gatter. Wie hoch mochte es sein? – Ach was, ich wagte es!
„Drauf, Dyveke! – Hei!“
Das Hindernis war höher, als ich geschätzt hatte. Ich japste, als das Pferd darübersetzte. Doch wir kamen heil drüben an, Dyveke und ich.
Wir nahmen noch ein paar Gräben, dann ging es wieder im Galopp, und schließlich ließ ich Dyveke in ruhigem Schritt verschnaufen. Ich beneidete die anderen nicht mehr um ihre Skitour. Schöner als ich konnte es niemand haben.
Oh, es war spät geworden. Wir mußten unsere Nasen heimwärts richten. Ich ließ Dyveke wieder hübsch gemächlich antraben. Aber kurz vor der Allee wollte ich doch noch meinen letzten Galopp haben. Wieder legte ich mich wie ein Jockey vornüber und raste auf das Haus zu.
Da flatterte ein großes, weißes Papier quer über den Weg. Dyveke scheute und stieg. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre abgeworfen worden. Mit aller Kraft klammerte ich mich im Sattel fest.
„Oh, lala, Dyveke! – Oh, lala!“ rief ich beruhigend.
Aber die Stute war durch meinen wilden Ritt zu aufgeregt und nervös geworden, und als ihr meine Sporen versehentlich wieder zu nahe kamen, stieg sie abermals. Dabei streifte ein niedriger Zweig einer Kastanie über ihren Hals, und nun begann das Pferd geradezu einen Tanz mit mir aufzuführen.
Ich wollte nicht um Hilfe rufen und biß die Zähne zusammen. Mit meinem eigenen Pferd mußte ich doch wohl allein fertig werden! Da – plötzlich hatte es wieder alle vier Hufe auf der Erde. Wie aus dem Boden geschossen stand ein Mann neben ihm und hielt es am Zügel fest. Er strich über Dyvekes schaumig-nassen Hals.
„So – nun sei mal ganz ruhig – ganz ruhig“, redete er ihr gut zu. „Ich glaube, du mußt in den Stall, was?“ Und ohne weiteres führte er Dyveke durch das Gartentor und zum Stallgebäude.
„Vielen Dank, nun komme ich wohl allein zurecht“, sagte ich.
Er blieb stehen, ich sprang aus dem Sattel und nahm die Stute selbst an den Zügel.
„Schönes Pferd!“ sagte der Mann mit Kennerblick. „Aber Sie haben es heute hart geritten.“
„Das hat es aber gern“, erwiderte ich.
„Mag sein, aber nun ist die Stute ein bißchen nervös geworden. Trocknen Sie ihr gründlich den Schweiß ab, und decken Sie sie sofort gut zu, damit sie nicht friert. Und warten Sie noch eine Weile, ehe Sie ihr Wasser geben!“
Er grüßte und ging. Ich stand da und starrte ihm nach. Was, in aller Welt, war denn das für ein Kerl? Wo kam er her? Woher wußte er, wo der Stall war? Wie kam er dazu, mir gute Ratschläge zu geben?
Ich ging ins Haus und bekam meinen Kaffee serviert. Dabei berichtete Louise, der Eiermann sei gekommen, und sie fragte, wie viele Eier sie nehmen solle.
„Ach, Rune ist da?“ sagte die Tante. „Dann komme ich gleich hinunter und spreche selber mit ihm.“
Ich folgte ihr. Da ich ja auch mit dem Kochen zu tun hatte, wollte ich auch beim Eiereinkauf dabei sein. Und wer saß am Küchentisch und trank Kaffee aus einer großen, blauen Küchentasse? Mein tapferer Lebensretter! Als die Tante eintrat, stand er auf.
„Guten Tag, Rune! Wie geht es denn in Leirstad?“
„Danke, es ist alles beim alten. Wir haben jetzt gutes Wetter, da können wir bald mit der Frühjahrsarbeit beginnen.“
„So, das ist ja fein. – Und wie sieht es auf Kollen aus?“
„Ja, ich war gestern oben. Ich fürchte, gnädige Frau, Sie müssen an der Südseite neue Fensterläden anbringen lassen. Das Wetter hat ihnen in diesem Winter hart zugesetzt. Der Garten ist prächtig. Unter der großen Rotbuche kommen schon die Krokusse heraus.“
„Können Sie in diesem Jahr etwas Gartenarbeit für mich übernehmen, Rune?“
„Ich fürchte, das wird nicht gehen. Ich muß sozusagen den ganzen Hof allein bewirtschaften, da glaube ich nicht, daß ich noch mehr übernehmen kann.“
„Glauben Sie, daß Sivert es wenigstens tageweise machen könnte?“
„Das kann sein. Aber es wäre wohl das beste, Sie sprächen selber mit ihm, gnädige Frau.“
„Das werde ich tun. Ich denke, daß meine Nichte und ich an einem der Ostertage hinauffahren werden. Würden Sie Borgny wohl
Weitere Kostenlose Bücher