Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
keinen Fall weiterlaufen. Nicht weg von ihm. Zu ihm hin musste sie. Zu dem Freund. Sie brauchte Gewissheit. Und sie durfte ihn nicht wieder verlieren. Nie wieder.
Marie wandte sich um. Die beiden waren verschwunden.
Sie rannte los. Jetzt ging es um etwas. Jetzt lief sie nicht zum Vergnügen.
Marie hatte Erfahrung genug, um zu wissen, dass sie nicht aufdrehen durfte. Sie hatte zu lange bewegungslos gestanden und musste erst wieder auf ihre Betriebstemperatur kommen. Die Gefahr einer Zerrung oder eines Seitenstechens war groß. Das durfte nicht passieren. Sie lief jetzt für Johann. Für ihr Kind.
Sie schaffte es, sich zu zügeln. Als sie zu der Stelle kam, an der sie den beiden begegnet war, atmete sie schon wieder kontrolliert. Die Wadenmuskeln meldeten keinen Schmerz.
Marie wurde schneller. Sie lief den Rückweg. Am Fluss entlang. Wenn sie nur wüsste, wohin die beiden verschwunden waren. Sie mussten irgendwo einen Wagen stehen haben. Wie sonst hätten sie hierherkommen sollen? Sie trugen keine Laufsachen, sie hatten keine Fahrräder dabei.
Wo konnte man einen Wagen abstellen?
Es gab eine Baumschule an der Bundesstraße, die parallel zum Fluss verlief. Dort war ein Schotterplatz für die Kunden und Lieferanten. Wenn sie ihren Wagen nicht irgendwo im Gebüsch abgestellt hatten, wo es unwegsam war, mussten sie dort parken. Warum sollten sie sich verstecken? Sie waren harmlose Spaziergänger. Der Freund musste keine Polizei fürchten. Die war längst weg. Es lag ein Jahr zurück. Ein ganzes Jahr. Eine Ewigkeit.
Marie bog ab. Es gab nicht viele Möglichkeiten. Alle Wege führten zur Bundesstraße. Zur Baumschule. Der Boden wurde härter. Überall lagen Steine. Maries Fußsohlen taten weh. Sie waren den kantigen Untergrund nicht gewöhnt.
Marie versuchte jeden Schritt zu kontrollieren. Sie durfte jetzt nicht umknicken. Gleichzeitig musste sie ihre Geschwindigkeit halten. Dann hatte sie eine Chance, zur Baumschule zu gelangen, bevor das Paar in den Wagen gestiegen und weggefahren war.
Der Freund würde es eilig haben. Womöglich hatte er sie auch erkannt.
Marie hörte in der Ferne den Lärm der Straße. Die vorbeifahrenden Autos. Aber sie sah sie nicht.
Sie lief noch schneller. Sie taumelte. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie. Sie konnte sich gerade noch an einem Zaunpfahl festhalten. Der Zaun war brüchig – aber er musste zu der Baumschule gehören. Es war also nicht mehr weit.
Maries Knöchel brannte. Er schwoll an. Sie hatte das Gefühl, dass er bei jedem Schritt dicker wurde. Sie humpelte. Aber sie lief weiter.
Dann sah sie am Ende des Weges einen schmalen grauen Streifen. Ab und zu huschte etwas Buntes über den Streifen – das waren Autos. Sie sprintete noch einmal los, der Fuß war schwer wie Blei. Aber sie lief.
Die Autos fuhren langsam an dieser Stelle. Wenn Marie sich richtig erinnerte, gab es eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Eine Fünfzig-Kilometer-Zone. Wegen der Kunden der Baumschule, die aus der unbefestigten Parkbucht in den fließenden Verkehr einscheren mussten. Fahrzeuge huschten vorbei. Marie hörte schon das leise Rattern ihrer Pneus auf dem glatten Asphalt.
Doch dann heulte ein Motor auf.
Der Freund. Er versuchte zu entkommen.
Wenn sie jetzt zu dem Parkplatz kam und er weg war, würde sie ihn niemals wiedersehen. Dann würde er sich absetzen. Er war gewarnt. Er wusste, dass das ihr Revier war – und dass sie ihn erkannt hatte.
Marie versuchte noch mal, ihr Tempo zu steigern. Ihre Lungen brannten.
Sie spürte, dass sie nur noch wenige Meter schaffen würde.
Sie erreichte den Parkplatz. Alles war voller Staub. Reifen drehten durch. Der Motor kreischte. Das Heck des Fahrzeugs schlingerte. Aber Marie sah den Wagen nun genauer. Es war ein Golf. Ein hellblauer Golf. Sie sah sogar zwei Zahlen des Kennzeichens. Eine Vier und eine Acht.
Der Freund fuhr also einen hellblauen Golf und im Kennzeichen waren eine Acht und eine Vier enthalten. Kein schwarzer Van mit getönten Scheiben. Ein Golf, hellblau, mit einer Vier und einer Acht. Das war alles. Aber das reichte. Für Fürbringer vielleicht nicht. Aber für Marie schon.
Maries Beine zitterten. Sie konnte in dem vielen Staub nicht atmen.
Der Wagen bog auf die Straße ein. Die Räder bekamen sofort Halt. Ein grauweißer Transporter, dem der Freund die Vorfahrt nahm, musste bremsen. Er hupte. Der Wagen des Freundes gab heulend Gas und schoss davon.
Marie ging langsam rückwärts. Ihr wurde schwarz vor Augen.
Sie streckte die Arme
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