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Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Titel: Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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zumindest ihr großer Bruder.«
    Blödmann, dachte Marie. »Mit deiner Fragerei zum Wintergarten.«
    »Man wird doch mal …«, maulte Robert.
    In diesem Moment erklärte Lore hinter ihnen mit einer angestrengt lauten Stimme: »Und das ist Tom. Mein bestes Stück.«
    Marie erstarrte. Sie legte die Hände flach auf die Tischplatte, um Halt zu finden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Robert sich erhob und auf die beiden zuging.
    »Endlich erscheint der Hausherr und Erbauer des Wintergartens. Sie wurden schon erwartet.«
    »Ich musste die Torte aufschneiden. Lore macht das nicht gern. Sie hat Angst, die Verzierung kaputt zu machen.«
    Marie erkannte die Stimme sofort wieder. Das war der Freund.
    Als sie es endlich geschafft hatte aufzustehen, musste sie sich zu ihm hindrehen. Das war der Moment der Wahrheit. Die ganze Zeit hatte Marie davor Angst gehabt. Jetzt erst spürte sie, wie groß diese Angst gewesen war.
    Sie schaffte es. Sie streckte sogar die Hand aus. »Guten Tag!«
    Sein Gesicht, das sie bisher nur bei der Begegnung am Fluss kurz gesehen hatte, erschien ihr flach und nichtssagend. Seine Lippen waren schmal, seine Nase dünn, seine Augen eigenartig leer. Er war nicht hässlich, aber auch nicht attraktiv.
    Der Freund starrte Marie an.
    Sie sah sofort, dass er unvorbereitet war. Er hatte keinen Verdacht geschöpft.
    Er hatte nicht geahnt, dass Marie zu ihm kommen würde.
    Nichtsahnend war er in sein Wohnzimmer getreten, um die Gäste zum Sonntagnachmittagskaffee zu begrüßen.
    Und nun stand er Marie gegenüber. Der Frau, dessen Kind er entführt hatte. Er war blass geworden. Seine Mundwinkel zuckten. Die Augen schienen keinen Halt zu finden.
    »Tom, was ist mit dir?«, hörte Marie Lore fragen.
    Tom schluckte. Er schaute an Marie herunter. Jetzt erst sah er ihre ausgestreckte Hand. Seine Kiefer mahlten. Marie wusste, dass er sich unglaublich zusammenreißen musste. Es kostete ihn all seine Kraft, die Hand dieser Frau zu ergreifen und zu schütteln – so, wie das von ihm erwartet wurde.
    Mit einem Schlag war Maries Angst verflogen. Sie wollte diesen Augenblick auskosten.
    Das war ihr Triumph.
    Zum ersten Mal war sie dem Freund gegenüber im Vorteil. Das Überraschungsmoment war diesmal auf ihrer Seite. Endlich. Sie war ihm einen, ach was, sie war ihm mehrere Schritte voraus. Das baute sie auf. Das entschädigte sie ein klein wenig für die Demütigung, die sie hatte ertragen müssen – die Demütigung, diesem fremden Menschen, diesem Monster mit der albernen Mickey-Mouse-Maske, ausgeliefert zu sein. Vollkommen ausgeliefert, weil er das Wertvollste in seiner Hand hatte, was Marie besaß: ihr Kind.
    Wenn es nach Marie gegangen wäre, hätte dieser Moment der Überrumpelung des Freundes ewig dauern können. Für sie war es ein Trost. Allerdings nur ein kleiner.
    Dann war es vorbei. Der Freund fing sich. Sie spürte, dass er alle seine Ressourcen mobilisierte. Und er schaffte es. Er ergriff die ausgestreckte Hand.
    Marie spürte die glatte, weiche Haut. Den Angstschweiß.
    »Marie, das ist Tom. Tom, das ist Marie!«
    Lore klang etwas verärgert. Klar – sie hatte sich solche Mühe gegeben mit dieser Einladung, und Tom, der Mann, den sie ihrer neuen Freundin Marie stolz hatte vorführen wollen, benahm sich wie ein autistisches Kind.
    Sie stieß ihn kameradschaftlich in die Seite. »Kennt ihr euch etwa?«
    Tom suchte nach einer Antwort.
    Marie gab sie für ihn. »Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns schon irgendwo begegnet sind.« Dann tat sie so, als fiele es ihr gerade ein. »Auf welche Schule sind Sie denn gegangen, Tom?« Es war unglaublich. Sie hatte die Fäden in der Hand. Sie bestimmte, wo es langging. Eine Befreiung.
    »Ich weiß auch nicht …«, stammelte Tom, während er Marie mit sanftem Nachdruck dazu bringen wollte, seine Hand loszulassen. Aber Marie wollte nicht. Noch nicht. Erst sollte er sich seiner Frau gegenüber erklären.
    »Du weißt nicht, auf welche Schule du gegangen bist?«, fragte Lore ungläubig und lachte.
    »Doch, doch. Auf die Realschule in der Nordstadt. Ich meinte, ich weiß auch nicht, woher wir uns kennen. Vielleicht …«
    »Aus dem neuen Supermarkt«, sagte Marie lauernd.
    Lore nahm Platz, gleichzeitig schob sie die anderen Stühle zurecht. »Tom geht nie einkaufen. Das findet er unter der Würde des Mannes. Nun setzt euch, der Kaffee wird kalt.«
    Marie ließ Toms Hand los. Der Freund atmete auf.
    Du bist noch nicht erlöst, dachte Marie. Noch

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