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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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des edlen Kornbrands war exportiert worden und hatte jenseits der Grenze im Westen so manches Hirn vernebelt. Auch in Hamburg hatte Ernst-August seinerzeit in einem Nobelrestaurant das ausgezeichnete klare Korndestillat aus der heimatlichen Brennerei entdeckt. Der Grund für den grenzüberschreitenden Erfolg war für ihn immer klar gewesen: Es war eben Qualität, denn für den Westen war immer nur das Beste gut genug gewesen.
    Nun wäre sein Qualitätstick allein noch kein Grund gewesen, ihn einen komischen Vogel zu nennen. Ernst-August hatte mit zunehmendem Alter eine Marotte entwickelt, die weit darüber hinausging. Immer, wenn jemand im Dorf zu Grabe getragen wurde und das geschah aufgrund der überwiegend älteren Bewohner und des Teufels Alkohol nicht selten, hatte Ernst-August, ob Sommer oder Winter in seinem langen Mantel aus echter Kaschmirwolle mitten zwischen der Trauergemeinde gestanden und halblaute Bemerkungen – den Sarg des Verstorbenen betreffend – fallenlassen.
    Und diese Kommentare hatten immer wieder für Aufregung und Ärger gesorgt, waren sie doch alles andere als pietätvoll. Weil Gisbert als Doktor des Öfteren zu Beerdigungen eingeladen wurde, kannte er die provokanten Sätze bald auswendig.
    »Diese billigen Kästen aus Kiefer oder Fichte, die halten doch keine zehn Jahre, dann sind sie verfault und die Maden haben freie Bahn. Von wegen teurer Verstorbener, von dem wird schon bald nichts mehr übrig sein, ist eben keine Qualität mehr. Früher sind die Toten noch in Zinksärgen beerdigt worden, hab´s selber noch gesehen beim alten von Ottenstedt. Das war für die Ewigkeit, aber heute…«
    Mit solchen oder ähnlichen Bemerkungen hatte Ernst-August regelmäßig die Grabreden des Pfarrers oder auch des Leichenredners gestört, je nachdem, ob der Dahingeschiedene und die Hinterbliebenen an die Auferstehung glaubten oder nicht.
    Immer, wenn er mit seinen herablassenden Kommentaren über die verkommene Sargkultur begonnen hatte, versuchten die Anwesenden ihn durch Gesten oder halblaute Rufe zum Schweigen zu bringen oder einer der Trauergäste nahm seinen Arm und führte ihn in Richtung Friedhofsausgang mit dem Versprechen, man würde ihn später in der Kneipe zu einem Bier und einem Korn einladen und ihm dann gern weiter zuhören. Gisbert hatte mir gestanden, er wäre nie den Verdacht losgeworden, dass diese Einladungen nach dem Friedhof zu Bier und Schnaps sicher auch eine Rolle bei den Störaktionen des extrem sparsamen Ernst-August gespielt hatten.
    Schließlich hatte jemand vorgeschlagen, Ernst-August bei der nächsten Beerdigung Friedhofsverbot zu erteilen, was vom Pfarrer abgelehnt wurde. Niemand könne dem Alten verbieten, jederzeit das Grab seiner Frau zu besuchen, die ja dort beerdigt worden war. Übrigens auch in einem Fichtensarg, hatte der junge Pastor pointiert hinzugefügt. Also mussten nach Ernst-Augusts Theorie auch die sterblichen Überreste seiner Frau längst ein Opfer mangelnder Sargqualität geworden sein.
    Als Joneleit, der Traktorist, wieder einmal in fortgeschrittener Bierlaune in de Kneip ´ Reden schwang, kam er auch auf Ernst-Augusts Friedhofskommentare.
    »Der hat jut reden, Zinksarg«, spottete er, »bei uns kannst du froh sein, wenn du ieberhaupt ´nen passenden Sarg kriegst und nich auf ´ne Warteliste kommst, wie beim Auto!«
    Das mit der Warteliste musste Ernst-August zu Ohren gekommen sein, denn er hatte einen ungewöhnlichen Entschluss gefasst.
    Wie er an das makellose Eichenholz gekommen war – ob über die Westmark des Hamburger Neffen oder über alte Beziehungen aus der Schnapsbrennerzeit –, hatte niemand zu sagen gewusst.
    Jedenfalls hatte der sonst so sparsame Ernst-August bei einem Sargtischler einen edlen Leichenkasten nach Maß aus eben diesem langlebigen Holz in Auftrag gegeben.
    Eines Tages hatte deshalb wieder einmal ein Auto vor dem Haus des komischen Alten, gegenüber der Poststelle gehalten, diesmal ein kleiner Lieferwagen mit knatterndem Zweitaktmotor. Deshalb sei er auch gar nicht zu überhören gewesen, nur darum habe sie aus dem kleinen Postfenster gesehen, hatte sich Edda entschuldigt, als sie mir davon erzählte. Auf der Ladefläche hätte, sorgfältig festgebunden, ein Prachtstück von Sarg gestanden, mit kostbaren Messingbeschlägen und Ernst-Augusts Initialen in den Deckel eingraviert.
    »Sowas hätte sich früher nur Herr von Ottenstedt leisten können«, hatte mir die Postfrau versichert. Von dem Tischler hatte sie nach einem

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