Abgang ist allerwärts
unerfindlichem Grund übrig geblieben.
Reiner lebte heute auch in der Stadt an der Oder, nur ein paar Häuserblocks von Eberhard und Susanne entfernt, und er ist der zweite Sohn, der sein Geld weit weg verdient, im richtigen Ausland , wie sie es hier nennen.
Er war dadurch allerdings nichts Besonderes geworden, obwohl er viel weiter musste als Eberhard, mit dem Flugzeug sogar, aber in Richtung Osten, das war für niemand hier etwas Aufregendes. Reiner baute mit an einer Erdgasleitung, irgendwo, wo sich die Füchse oder besser die Wölfe Gute Nacht sagten. In Russland, hieß es bei den einen, in der Sowjetunion bei den anderen. Reiner sagte mal so, mal so, je nachdem, mit wem er sich unterhielt. So richtig wusste keiner, wo das war, bis auf Gottfried den Maurer, der war mal im Krieg in der Gegend, mit dem Reisebüro Deutsche Wehrmacht , wie er es genannt hatte, und er hatte dazu gelacht, wie über einen guten Witz.
»Wie hältst du es in dieser gottverlassenen Gegend bloß so lange aus?«, hatte ihn der Maurer gefragt, als Reiner vor ein paar Monaten Fotos von dort in der Kneipe gezeigt hatte. Er würde viel schneller als andere ein Auto bekommen, nach einem Jahr, gut, das war ein Argument. Andere mussten zehn Jahre und länger darauf warten, aber trotzdem, lohnte das den Preis dafür?
Reiner kam sogar nur alle drei Monate nach Hause. Die Frau saß in der Zwischenzeit allein, und das, obwohl sie erst vor kurzem geheiratet hatten. Aber die Frauen wurden nicht gefragt, die waren einverstanden, das setzte man voraus. Schließlich wollte es jeder zu etwas bringen. Außerdem war Reiners Frau im sechsten Monat schwanger, da war deutlich zu sehen, dass sie einen Mann hatte. Und wie sie sich fühlte, wenn sie monatelang in dem getünchten Neubau in der Stadt an der Oder saß, zwischen den großblumigen Tapeten, die das Leben nicht bunter machten, das ging niemanden was an. Und wenn ihr die Decke wirklich einmal auf den Kopf zu fallen drohte, konnte sie immer noch zu Susanne gehen, die nicht weit von ihr entfernt wohnte, in einer Wohnung, die ihrer wie ein Ei dem anderen glich, sogar die Schrankwände hatten dieselbe Farbe.
Sie hockten dann zusammen vor den bunten Bildern des Fernsehers und tranken ihren Kirschlikör, und manchmal auch etwas Härteres. So konnten sie es aushalten. Im selben Betrieb arbeiteten die Frauen ja auch, wo sie zum Wohl der sozialistischen Volkswirtschaft und eines kapitalistischen Unternehmens Schuhe für eine westdeutsche Firma herstellten. Also sahen sie sich sogar manchmal mittags, während der dreißigminütigen Pause. Nein, die Frauen von Reiner und Eberhard konnten sich wirklich nicht beschweren, fand man im Dorf. Ihre Männer waren ja keine Herumtreiber. Wenn sie die Frauen allein ließen, dann nur wegen der Familie, damit es der besser ging. Und dass einer seine Arbeit woanders findet, das gab es früher schon, das kannten sie im Dorf von den schlesischen Schnittern, zu denen ja auch Eberhards Vater gehört hatte.
»Na, Westdeutscher. Wieder zurückgefunden?« Der Lange grinste und winkte ein Bier heran. »Sitz ich in der Taiga oder du?«, konterte Eberhard und schob einen klaren Schnaps über den Tisch zu ihm hinüber. Der nahm das Glas, hielt es hoch und sagte amüsiert: »Ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, dass ihr hier ja den Klaren aus Fingerhüten trinkt. Na dann: Na sdrowje!«
»Ist ja n richtiges Ost-West-Treffen«, stellte der alte Erwin fest und fügte dann hinzu: »Deutsche an einen Tisch!« Maurer-Gottfried lachte und hob abwehrend die Hände. »Lieber nich, dat war mal, vor dreißig Jahren!« »Mann oh Mann, Reiner, du hast was verpasst: Für eine Nummer drei Quarzuhren. Nee, also, nee, nee, da wird der Hund in der Pfanne verrückt!« Erwin ist immer noch beeindruckt. Als Reiner ihn verständnislos ansieht, winkt er nur ab: »Is schon jut, Schuster, bleib bei deinen Leisten!«
Und damit hatte er den Schlusspunkt unter das Thema gesetzt.
»Und, was macht dein Haus?«, wandte sich Reiner plötzlich an mich. »Es wird immer schöner«, antwortete Gottfried an meiner Stelle. »Und nich nur außen, auch innen. Mit ein paar gräflichen Möbeln. Is doch so?« Ich nickte zustimmend, hatte jetzt aber keine Lust in dieser Runde lang und breit über meine mir zugewachsenen Kostbarkeiten aus dem Schloss und den Stand der Bauarbeiten an meinem Haus zu reden, den ohnehin jeder selbst erkennen konnte, also bestellte ich eine neue Lage Bier und wir prosteten uns zu. Dann ging es
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