Abgang ist allerwärts
nie Opfer, sondern immer Täter.
Eine Produktion meines Textes käme deshalb aus verschiedenen Gründen derzeit nicht infrage.
Das Wörtchen derzeit war das pragmatische Hintertürchen, durch das sie auf geschickte Art dem Vorwurf eines Verbots entkamen.
Nachdem ich aufgelegt hatte, war ich in ein sarkastisches Gelächter ausgebrochen. Ich lief in meiner kleinen Wohnung auf und ab wie in einem Käfig. In meinem Kühlschrank stand noch eine halbvolle Flasche Wodka. Ich nahm einen großen Schluck, gleich aus der Flasche. In meinem Kopf drehte sich ein Karussell mit Zitaten: Vor Tische las man´s anders… Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube… Cuius regio, eius religio… Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende…
War das kleine Dorf Hohenfeld mit meinem immer weißer werdenden Fachwerkhaus mein Aranjuez? In der Nachbarschaft der Macht lag es bestimmt nicht. Ich wusste nur eines, ich musste aus der Stadt, und zwar noch heute. Ich war gerade dabei gewesen, meine Reisetasche zu packen, als wieder das Telefon klingelte. Kam da noch eine Katastrophenmeldung? Es war Joachim. Er rief aus dem Theater an und kündigte seinen Besuch für das Monatsende an: »Aber auf deinem Sommersitz, Elias, ich will endlich deine Eremitage kennenlernen«, fügte er hinzu. »Ja«, hatte ich ihm immer noch in Gedanken geantwortet, »weitab vom Hof des Königs«.
XII.
J e fremder mir das Leben in der Stadt geworden war, desto vertrauter schien mir das kleine Dorf zu werden. Hier waren die Leute, die ich in der Kneip´ oder im kleinen Laden des Schlosses traf, verlässlich, ihr Verhalten war berechenbar.
Der oft eigenwillige Blick auf ihre Geschichte kümmerte sich nicht um die pragmatischen Wendungen der Tagespolitik, denn selbst in ihrem Starrsinn, in ihrer Engstirnigkeit und in ihren Vorurteilen sprachen sie das aus, was sie meinten. Das für mich manchmal Hanebüchene war für sie das Selbstverständliche. Das, was ich da gerade in der Stadt erfahren hatte und was eine Reihe von weiteren Ereignissen ankündigte, die mir unmissverständlich klarmachten, dass unerlaubte Grenzüberschreitung auch innerhalb des Landes geahndet wurde, das hätten sie in der Kneipe von Hohenfeld lakonisch mit dem Spruch kommentiert: Wer sich mit Hunden ins Bett legt, muss sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht.
Auch noch auf der Fahrt aus der Stadt hatte ich wieder und wieder darüber nachgedacht, was diese neue Situation für mich bedeutete, und wie ich mich dazu verhalten sollte.
»Tu jetzt bitte nichts Unüberlegtes!«, hatte mir Gabriele in der Theaterkantine wohlmeinend nachgerufen. Und wenn ich nun etwas Überlegtes tat, bei dem ich mir aller Konsequenzen bewusst war?
Ich versuchte, mir selbst gut zuzureden. Immerhin waren meine Fernsehgeschichten – trotz des langen Hin und Her – erfolgreich gelaufen, es sollte sogar eine Fortsetzung geben. Und ich hatte das Wort des Intendanten in L., dass das Theater dort mein neues Stück uraufführen würde, es gab sogar schon einen Regisseur und eine Besetzung. Vielleicht sollte ich versuchen, für mein Haus auf dem Land ein Telefon zu bekommen und überhaupt meinen ersten Wohnsitz nach Hohenfeld verlegen, ging mir durch den Kopf. Die Idee gefiel mir, meine Laune besserte sich merklich.
Ich würde sofort nach meiner Rückkehr mit der superweißen Farbe die Fachwerkwände zum Leuchten bringen und abends in der Kneipe die mir vertrauten Gesichter wiedersehen. Ich schaltete das Autoradio ein. Leonard Cohen sang Like a bird on a wire .
Dann kam die Meldung: Die bekannte Ostberliner Film- und Fernsehschauspielerin Veronika Krauss traf gestern in den frühen Abendstunden gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten im Westteil Berlins ein. Ihre Arbeitsmöglichkeiten in der DDR waren in den vergangenen Jahren mehr und mehr eingeschränkt worden… Hastig stellte ich das Radio ab. Also wieder zwei weniger, dachte ich. Diese Neuigkeit war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Als wir uns vor ein paar Monaten noch einmal gesehen hatten, waren sie bei mir im Dorf zu Besuch gewesen.
Veronika hatte mit einem bewundernden Blick auf das Haus zu mir gesagt: »Du hast wenigstens was, wo du dich verkriechen kannst, so ein Refugium macht einiges vielleicht erträglicher.« Und ich hatte ihr zugestimmt. Jetzt waren sie also im Westen und ich fuhr mit dem Auto in die andere Richtung.
Das Haus hatte mich freundlich empfangen und ich war sofort auf die Leiter gestiegen, um die erneut
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