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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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gemeinsamen Glas Rhabarberwein noch mehr erfahren.
    Der Sarg war in das Schlafzimmer des Alten gebracht worden und wurde auf der Seite abgestellt, wo früher seine Frau geschlafen hatte. Den Sargdeckel hatte der Tischler aus für ihn unerklärlichen Gründen an die Wand lehnen müssen. Edda glaubte zu wissen, warum: Ernst-August habe sicher von Zeit zu Zeit schon mal eine Nacht in dem Sarg verbracht, zur Probe, um sich zu überzeugen, ob das Erdmöbel auch wirklich bequem sei. Es mochte verrückt klingen, aber ich hatte das durchaus für möglich gehalten.
    Einmal – es musste etwa drei Jahre vor Ernst-Augusts Tod gewesen sein – hatte er mich auf der Wiese neben meinem Haus sitzen sehen, war ein paar Schritte auf mich zugekommen, hatte mir einen guten Tag gewünscht und mich dann ohne große Vorrede gefragt, ob ich in nächster Zeit vielleicht nach Hamburg fahren würde, er müsse dringend zu seinem Neffen und suche nach einer Mitfahrgelegenheit.
    »Aber Hamburg liegt im Westen«, hatte ich ihm völlig verdutzt geantwortet. Das wisse er, hatte Ernst-August würdevoll bestätigt, aber das sei doch für einen Mann wie mich sicher kein Problem. Alles sei schließlich eine Frage der Beziehungen, schließlich hätte ich ja auch ein Auto von drüben. Ernst-August war offensichtlich davon überzeugt, dass ich mir eine West-Reise genauso besorgen könne wie andere Wandfliesen, Weißkalk oder Eichenholz.
    Es täte mir leid, hatte ich ihm entgegnet, aber das einzige, was ich ihm anbieten könne, sei ein Platz in meinem Auto, wenn ich wieder nach Berlin fahren würde. Ernst-August hatte dankend abgelehnt, weil das ja ein Umweg wäre. Damit war unser kurzes Gespräch auf der grünen Wiese seinerzeit beendet gewesen, und ich hatte danach, ob ich wollte oder nicht, ein schlechtes Gewissen. Also hatte ich ihn gefragt, ob ich ihn am nächsten Wochenende wenigstens zu einem Bier in die Kneipe einladen könne. Ernst-August hatte das Angebot, ohne zu zögern angenommen.
    Eines hatte ich schon nach kurzer Zeit festgestellt: Wenn einer aus der Reihe tanzte, wurde der schnell zur Zielscheibe des Spotts im Dorf. Und so erging es auch Ernst-August, im Grunde bis zum Schluss. Als er nämlich, wie verabredet, am folgenden Sonntag mit mir in der Kneipe saß, stichelte Joneleit, wieder einmal durch Bier und Schnaps mutig geworden, ob Ernst-August denn keine Angst hätte, dass die Holzwürmer schon vorher seinen noblen Leichenkasten durchlöchern könnten. Der Alte hatte abgewinkt und ruhig erwidert: »An dieser deutschen Eiche beißen sich die sozialistischen Würmer die Zähne aus, das ist eben Qualität.«
    Auch Ernst-Augusts Gesundheit musste von besonderer Qualität gewesen sein, denn der kostbare Eichensarg hatte noch Jahre auf den Tag seiner Bestimmung gewartet. Und seine Verrücktheit hatte sogar noch über seinen Tod hinaus für Gesprächsstoff im Dorf gesorgt. »Stell dir vor, der Alte hat verfügt, dass sie ihn in seinem Kaschmirmantel in seine letzte Behausung zu betten haben«, hatte Gisbert mir anvertraut. Ich fand das gar nicht so erstaunlich, denn ob Auferstehung oder nicht, für Ernst-August war es doch immer wichtig gewesen, von Dingen für die Ewigkeit umgeben zu sein.
XI.
    D er Anruf aus Berlin war diesmal vom berühmten Theater in der Schumannstraße gekommen. Ich könne morgen eine Endprobe zur Inszenierung meines Stückes besuchen und vorher solle ich der Journalistin eines Monatsmagazins noch ein Interview geben. Jetzt würde also eines meiner Stücke auch auf einer Bühne der Hauptstadt zu sehen sein, dazu auf einer der berühmtesten in ganz Deutschland. In Hochstimmung hatte ich das Haus in Hohenfeld verlassen, um es für ein paar Tage gegen meine Neubaukämmerchen in der Nähe des Alexanderplatzes einzutauschen.
    Mit der Journalistin hatte ich mich telefonisch noch für den frühen Abend in einem Café Unter den Linden verabredet. Sie war sehr jung, sympathisch, mehr als gut aussehend, mit einer gewissen Ähnlichkeit zu Jane Fonda, fand ich.
    Aber ihre Fragen schienen aus dem Lehrbuch Journalistik für den Hausgebrauch zu stammen. Schade, war es mir durch den Kopf gegangen, ein Interview mit einem Gegenüber vom Format Angéliques wäre bestimmt interessanter gewesen.
    Am Schluss vereinbarten wir, uns am nächsten Tag im Theater zu treffen, um gemeinsam die Probe zu besuchen. Vielleicht könnte ich sie ja dazu überreden, danach mit mir essen zu gehen.
    Als ich am anderen Tag in der Schumannstraße ankam, war die

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