Abgang ist allerwärts
um die miserable Weizenernte, die Zuckerrüben, darum, dass sie Erwins Enkel für eine Offizierslaufbahn bei der Nationalen Volksarmee geworben hatten, weil er da wenigstens eine Zukunft hat, dass bei Breihahn, dem Polizisten des großen Nachbarortes, rein zufällig Futtergetreide aufgetaucht war, das die Genossenschaft in ihren Beständen vermisst hatte, dass der alte Opa Wegener sich mit einem doppelten Strick in seiner Wohnung aufgehängt hatte, weil er wegen seines gebrochenen Beins mit fünfundsiebzig nicht zum ersten Mal in ein Krankenhaus wollte und dass der Förster tatsächlich einen Elch geschossen hatte, der war wohl aus Polen übergewechselt.
»Unerlaubter Grenzübertritt ist eben immer gefährlich«, sagte Reiner grinsend, der während seiner Armeezeit an der Westgrenze gestanden hatte.
»Apropos geschossen«, Gottfried wandte sich mir zu, »hast du schon gehört, dat sie dem Rudi die Jagderlaubnis gesperrt haben? Er hat einen Zwölfender geschossen, der eigentlich für den Kreisvorsitzenden der Partei reserviert war. Is wohl sein altes Wildererblut mit ihm durchgegangen. Und jetzt haben ihm die Genossen vom Jagdkollektiv die Flinte weggenommen.«
Nicht mehr jagen zu dürfen, musste für Rudi eine Katastrophe bedeuten. Und nur weil er sich nicht an die Hackordnung seiner Jagdgenossen gehalten hatte.
Ich verabschiedete mich und lief zu meinem immer schöner werdenden Haus. Im Kofferraum meines Autos standen noch die Eimer mit der blendend weißen Farbe, die das Haus weiter veredeln sollte, gleich morgen wollte ich damit anfangen.
X.
E ine Woche später war Ernst-August auf dem kleinen Friedhof neben der Feldsteinkirche mit dem hölzernen Turm begraben worden. »Der wird ja nun für ´ne Ewigkeit erhalten bleiben«, hatte die Postfrau mir bei meinem letzten Telefonat mit der Hauptstadt in vertraulichem Ton mitgeteilt. Und hatte dann hinzugefügt: »Na, wenigstens konnte er seine eigene Beerdigung nicht mehr stören.« Ich wusste, was Edda mit ihren rätselhaften Bemerkungen meinte, war aber zu sehr mit dem Inhalt meines Telefongesprächs beschäftigt gewesen, um darauf zu antworten.
Gisbert, der vor ein paar Tagen von einem Hausbesuch bei Kollmann, dem alten Lehrer, zurückgekehrt war, hatte mich bei einem Glas Rotwein aufgeklärt.
Der knarzige Ernst-August sei schon immer ein komischer Vogel gewesen, darüber habe im Dorf Einigkeit geherrscht. Er hatte sogar ihm gegenüber, dem Doktor, sein Alter verschwiegen, allerdings war er schon vor über zehn Jahren das erste Mal in den Westen gefahren und das bedeutete für einen gewöhnlichen Dorfbewohner, der in der Nähe der Oder wohnte, dass er schon damals das Rentenalter erreicht haben musste. Den staatlichen Ämtern konnte man nichts vormachen. Ernst-August war von einem hanseatischen Neffen in einem riesigen schwarzen Mercedes abgeholt worden. Und manche im Dorf hatten schon gedacht, dass er wohl nicht zurückkommen würde, denn nach dem Tod seiner Frau hatte er niemanden mehr im Dorf, der auf ihn wartete.
Aber nach vier Wochen sei die schwarze Luxuslimousine wieder fast unbemerkt und geräuschlos vorgefahren, aus der ein völlig neu eingekleideter Ernst-August würdevoll ausgestiegen sei.
Der Traktorist Joneleit hatte bewundernd aber auch fachmännisch erklärt, dass man eben so einen Klassemotor so gut wie nicht hören würde. Als Ernst-August von Joneleits Gutachten erfuhr, hatte er überlegen gelächelt und lässig bemerkt, das sei eben Qualität, deutsche Wertarbeit.
Gisbert erinnerte sich, dass nach Ernst-Augusts Rückkehr besonders sein flauschiger sandfarbener Mantel bewundert worden war, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte. Jetzt könne dieser und auch alle folgenden Winter kommen, hatte er im Dorf erzählt.
Als er das Prachtstück den Hausfrauen das erste Mal in dem kleinen Konsum im Schloss vorführte, hatten die wissen wollen, woraus der Mantelstoff denn bestehen würde.
Ernst-August gestattete einigen von ihnen, das edle Tuch zwischen den Fingern zu prüfen. Dann hatte er bedeutungsvoll das Geheimnis gelüftet:
»Kaschmirwolle. Der Mantel hält für die Ewigkeit, das ist eben Qualität…« Und die Verkäuferin hatte grinsend hinzugefügt:
»…deutsche Wertarbeit.« Was Ernst-August mit einem entschiedenen Nicken bestätigte.
Sie hatten im Dorf gewusst, dass das mit der Qualität eine Art Tick von Ernst-August war. Den hatte er schon, als er noch in der Buchhaltung einer Schnapsbrennerei gearbeitet hatte. Ein großer Teil
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