Abgang ist allerwärts
Theaterkantine fast leer. Gabriele, die Dramaturgin, hatte schon auf mich gewartet, und mich an ihren Tisch gewinkt. Plötzlich kam Georg Graf auf mich zugelaufen, um mich überschwänglich zu umarmen. Graf war einer der wichtigen Schauspieler am Hause, und eine durch Film und Fernsehen bekannte Größe.
»Glückwunsch!«, dröhnte seine Bassstimme durch die Kantine. »Deine Fernsehgeschichten für Schauspieler, also Hut ab! Hast ja auch prima Kritiken bekommen! Schade, dass du mich nicht gefragt hast, ich wär´ sicher auch gern drin gewesen. Aber wenigstens machen wir am Haus jetzt ein Stück von dir, bloß, ich bin wieder nicht besetzt. Du solltest mehr an deine Freunde denken!«
Er hatte scherzhaft mit dem Finger gedroht, mir jovial auf die Schulter geklopft und war dann durch die Sprechanlage auf die Bühne gerufen worden. Grafs Lob hatte mir geschmeichelt und ich war bester Stimmung, als ich den Tisch erreichte, an dem Gabriele saß. Ihr unruhiger Blick verhieß allerdings nichts Gutes, als sie mich kurz begrüßte.
Sie spielte nervös mit ihrem Kugelschreiber und vermied es, mich anzusehen. Dann sprang sie abrupt auf und fragte: »Willst du einen Kaffee?« »Ja, schwarz, ohne Zucker«, erwiderte ich etwas irritiert. Sie verschwand hastig und kehrte nach kurzer Zeit mit zwei Tassen Kaffee an unseren Tisch zurück, dabei verschüttete sie mit einer fahrigen Handbewegung etwas aus ihrer Tasse.
»Was ist denn los?«, fragte ich sie, noch immer gut gelaunt, »ist der Hauptdarsteller tot umgefallen? Wird die Premiere verschoben?«
Sie schüttelte den Kopf und sah mich zum ersten Mal wirklich an.
»Was ich dir jetzt zu sagen habe, fällt mir wirklich nicht leicht.«
Sie sah mich an, wie ein Häufchen Elend.
»Die Inszenierung wird ausgesetzt«, sagte sie zögernd. »Gestern Abend war eine Abnahmekommission auf der Probe. Sie waren mit dem, was sie gesehen haben, nicht einverstanden.«
Entgeistert starrte ich Gabriele an. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich wollte nicht glauben, was ich hörte.
»Was soll das heißen, nicht einverstanden? Ist die Regie beschissen, sind die Schauspieler zu schlecht?«
»Sie sind der Meinung, dass sie die Inszenierung so nicht rauslassen können, weil sie nicht den Intentionen des Autors entspricht. Das ist die offizielle Begründung.«
»Was soll das denn heißen?! Wenn ich mich nicht irre, bin ich ja wohl der Autor. Woher wollen diese Herrschaften denn was von meinen Intentionen wissen!? Mich hat keiner gefragt!« Meine Stimme war laut geworden. Gabriele schwieg und legte mir beruhigend ihre Hand auf meinen Arm.
Als ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, versuchte ich verzweifelt, gegen die offensichtlich vollendete Tatsache anzureden. Ich sprach ohne Punkt und Komma. Ich hätte schließlich einen Aufführungsvertrag, die Plakate mit der Ankündigung hingen überall in der Stadt, ich hatte ein Interview zur bevorstehenden Premiere gegeben und im Rundfunk war sie ebenfalls angekündigt worden. So einen Rückzieher konnte sich doch ein Theater wie dieses nicht leisten.
»Du irrst dich«, hatte Gabriele leise erwidert, »es ist ja nicht das erste Mal. Du befindest dich in guter Gesellschaft«, hatte sie wie zum Trost hinzugefügt.
Ich fühlte, wie die Wut wieder in mir hochstieg. »Ausgesetzt?
Ist das ein neuer Scheißeuphemismus für wird nicht aufgeführt !?« Ich war plötzlich wieder laut geworden und Gabriele sah sich vorsichtig um. »Das war´s dann wohl«, sagte ich nur noch, stand abrupt auf und ging grußlos zur Tür.
»Tu jetzt bitte nichts Unüberlegtes!«, hatte mir Gabriele noch hinterher gerufen, dann war ich auf der Straße. Später konnte ich nicht genau sagen, wie ich zu meiner kleinen Wohnung gelangt war. Ich wusste nur noch, dass ich mich auf das gestreifte Sofa geworfen hatte und am liebsten die gesamte Außenwelt abgeschaltet hätte, wie ein schlechtes Fernsehprogramm. Aber an dem Tag sollte es noch Schlag auf Schlag kommen. Gerade als ich wieder einen halbwegs klaren Kopf hatte, klingelte das Telefon.
Es war die Hörspielabteilung des Rundfunks. Endlich, nach Monaten des Schweigens. Der sonst so liebenswürdige Dramaturg war kurz angebunden.
Mein Hörspieltext sei nach genauerer Betrachtung künstlerisch doch nicht überzeugend und es gäbe darüber hinaus auch ideologische Bedenken. Dieser Selbstmord der Hauptfigur im Stück sei etwas dem Sozialismus höchst Fremdes und die Gegner unserer Gesellschaft seien
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