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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
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Blick ist starr auf den Ausguss gerichtet. Das muss alles ein böser Traum sein! Es kann nicht sein, dass diese Person, die ich da eben gesehen habe, ich bin, es kann nicht sein, dass dieser Elefantenmensch, der mich da gerade angeguckt hat, Jessica Kronbach ist.
    Ich mache das Licht wieder aus, ertaste die Salbe und trage sie im Dunkeln großflächig auf. Dann nehme ich vier große Badetücher aus dem Regal und verhänge damit sämtliche Spiegel in meiner Wohnung – eine Art automatisches Selbstschutzprogramm, das meine Psyche gestartet hat, um mich vor dem völligen Durchdrehen zu schützen. Nur wenn ich mich nicht sehe, kann ich überleben.
    Dann schleppe ich mich in die Küche, stelle die Kaffeemaschine an und lasse mich auf den Holzstuhl am Küchentisch fallen, den Kopf vergrabe ich in meinen Händen, aber nur kurz, weil von der Salbe alles fettig und glitschig ist. Die Küchenuhr tickt. Die Kaffeemaschine blubbert. Am Montag hatte ich noch zwei kleine Fältchen auf der Stirn. Jetzt habe ich ein Auge wie ein Muppet, die Lippe von der Größe eines aufgepumpten Fahrradschlauchs und erdbeergroße, fürchterlich juckende Pusteln im Gesicht. Ich kratze mich an einer der Pusteln, und das Jucken wird wieder heftiger. Ich bin völlig am Ende und kann mir nicht vorstellen, auch nur einen Tag mit diesem Gesicht zu überleben.
    Vielleicht wäre es wirklich das Beste, einen Schlussstrich unter all das zu ziehen. Also überlege ich, wie ich meinem armseligen Dasein ein Ende bereiten könnte. Erhängen kommt nicht in Frage, dauert zu lange, außer Aspirin hab ich keine Tabletten im Haus, auf die Schiene will ich auch nicht, da hätte ich zu viel Angst, das Ganze mit ein paar Gliedmaßen weniger zu überleben. Vom Hochhaus springen kommt auch nicht in Frage, da ich Höhenangst habe, und das Pfefferspray in meiner Handtasche ist, so weit ich weiß, nicht tödlich. Aber irgendwas würde sich schon finden. Es haben sich schließlich schon ganz andere umgebracht.
    Mehrere Stunden verbringe ich an meinem Küchentisch und halte innere Monologe darüber, wie schlecht es mir geht und dass das Leben für mich vorbei ist. Ich stelle mir vor, wie meine Leiche in einer kleinen stimmungsvollen Kirche aufgebahrt wird und Caro, Julia, Simone voller Schuldgefühle vor meinem Sarg stehen. Ich trage eine weiße schlichte Bluse, meine Haare sind offen und umrahmen mein Gesicht wie ein samtenes Tuch. Meine Haut ist blass und … und … ich habe … ich habe ein Matschauge! Ein verdammtes Matschauge! Und dazu noch eine dicke Lippe und Ausschlag. Ich bin sogar zu hässlich zum Sterben!

VIERZEHN  Aggressive Hirsche
    Da ich nicht sterben kann, hab ich mich entschlossen zu handeln.
    Ich tupfe mir ein bisschen Make-up ins Gesicht, um die roten Krater damit abzudecken, was irgendwie total lächerlich ist, da die Pusteln weiterhin auffallen wie ein Großbrand in einer mondlosen Nacht. Ich krame in meinem Apothekerschrank und werde in der untersten Schublade fündig: Camouflage. Das Make-up wasche ich vorsichtig wieder ab und versuche es stattdessen mit dem Camouflage. Auf jeden Fall besser: Man sieht zwar noch die Unebenheiten auf der Haut, aber zumindest keine Rötungen mehr. Dann setze ich meine riesige schwarze Sonnenbrille auf, eine Baseballkappe, die ich mir mal fürs Tennisspielen gekauft habe, und binde mir ein Tuch um, damit man die Pusteln am Hals nicht sieht. Das Einzige, das ich nicht abdecken kann, ist meine dicke Lippe.
    Ich sehe jetzt ein bisschen so aus wie ein Hollywoodstar nach einer missglückten Lippenvergrößerung, der nur mal eben in den Drugstore will, ohne von irgendeinem Paparazzo erkannt zu werden. Das ist es überhaupt. Ich bilde mir einfach ein, dass ich Julia Roberts auf dem Weg zum Drugstore bin! Vielleicht sollte ich mir einen Mundschutz besorgen, um auch noch ein bisschen auf Michael Jackson zu machen, aber stattdessen ziehe ich mir lieber das Tuch so hoch, dass es meine Unterlippe einigermaßen verdeckt. Wenn ich so in eine Bank gehen würde, würde man auf der Stelle den Alarmknopf drücken und Banknoten ungefragt in Säcke packen. Von wegen Hollywoodstar. Ich forme aus meinen beiden Händen eine Pistole, die ich dann im Spiegel auf mich richte. Gott sei Dank ist es höchste Zeit loszufahren. Ich verhülle den Spiegel wieder und mache mich auf den Weg.
    In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so viel Taxi gefahren, wie in den letzten beiden Tagen. Die Quittungen werde ich auf jeden Fall sammeln, um sie Roland in

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