ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
Himmel, und ich schaue auf die Alpen. Mit dieser Wirklichkeit kommt keine noch so makellose Filmkulisse mit. Ich kann es mal wieder nicht fassen, wie schön mein Leben gerade ist – und genieße es einfach. Nach dem Besuch im Bad schaue ich mir noch die Innenstadt von Lindau an. Plötzlich höre ich ein lautes Zischen – zum Glück hat sich am Hinterrad nur die Ventilverschraubung gelockert, was mit einem Griff behoben ist. Auf meiner Tour zwingt mich nicht ein einziger Platten vom Rad. Die Anschaffung zweier doch etwas kostspieliger Reifen, die „unplattbar“ heißen, macht sich bezahlt.
Nach der Nacht im Heu beginnt am 8. Juli 2007 bei Kilometerstand 1249 meine Rückfahrt. Ich stärke mich zuvor am reichhaltigen Frühstücksbüfett. Das ist eine gute Entscheidung, denn mir steht der schwierigste und anstrengendste Streckenabschnitt bevor: Hinter Lindau beginnt das Allgäu, durch das ich fahren muss, um nach Füssen zu gelangen. Fahren? Was schreibe ich da. Es wird ein dreitägiger Kampf – mit den Bergen, dem Dauerregen, der Kälte, meiner schwindenden Moral. Umsteigen in den Zug droht.
Kapitel 13
Höllentour durchs Allgäu
Nach dem Start in Kressbronn, ich habe getrödelt und bin erst gegen 10 Uhr auf der Piste, nehme ich bis nach Lindau Abschied von meinem Reiseziel, an dem ich mich so wohl fühlte. Doch ich werde ganz sicher wieder an den Bodensee kommen – dann aber im Auto und mit Geldkarte.
Hinter Lindau muss ich auf den Bodensee-Königssee-Radweg wechseln. Nur wo genau? Ich halte an einer Tankstelle, stelle das Fahrrad ab. Ein Mann, der mein Parkmanöver nicht gesehen hat, kennt sich aus. „Am besten fahren Sie jetzt erst einmal auf die Autobahn“, rät er. Äh, ich bin mit dem Rad unterwegs, gebe ich zu bedenken. „Ach so“, antwortet er, kein Problem, er erklärt mir perfekt den Weg zum Radweg durchs Allgäu. Rückblickend bin ich froh, mich vorher nicht ausführlich mit dem Schwierigkeitsgrad und den Steigungen auf dieser Strecke beschäftigt zu haben. Ich glaube, sonst hätte ich schon vor dem Start aufgegeben.
Ziemlich naiv trete ich also in die Pedale. Die Etappe verläuft zunächst verheißungsvoll durch eine sattgrüne Hügellandschaft, lauschige Dörfer und Höfe, vorbei an Weiden, auf denen braune Kühe mit Glocken um den Hals stehen. Die Landschaft wirkt märchenhaft, hier erinnert das bayerische Alpenvorland an das Auenland von Frodo und seinen Freunden im ersten Teil der Verfilmung von „Der Herr der Ringe“. Klar ist die Fahrt schon beschwerlicher als auf ebener Strecke am Rhein entlang. Aber das ist für mich noch kein Problem. Vielmehr bereitet mir Sorge, dass sich der Himmel zuzieht. Und mich nervt der starke Gegenverkehr, es sind meist durch und durch gestylte Radler, die auf ihren ziemlich teuer aussehenden Rädern pfeilschnell ins Tal rasen. Ach was, ich bin einfach nur neidisch, dass es bei ihnen bergab geht.
Die ersten Tropfen haben sich inzwischen, es ist Sonntagmittag, in einen starken Dauerregen verwandelt. Das bleibt so bis Dienstagmittag auf meiner Höllentour durchs Allgäu. So lange brauche ich für die nur 125 Kilometer bis Füssen. Vor Sigmarszell kapituliere ich vor der ersten extremen Steigung, ich schiebe mein Rad. Fahren, schieben, das geht 15 Kilometer so weiter. Von Edelitz nach Eglofs geht’s erstmals wieder auf drei Kilometern rasant bergab. „Hilfe“, denke ich, und kann mich über diese Verschnaufpause nicht mal mehr freuen. Denn nach einer Abfahrt lauert ja wieder ein Berg. Und was für einer. Hinter Gestratz erwartet mich eine 17-Prozent-Steigung auf einer Autostraße. Am liebsten würde ich mein Rad in den Straßengraben feuern und abhauen. Nur wohin…? Fluchend und frierend schiebe ich weiter, zähle bis 20, halte kurz an, um zu verschnaufen, zähle wieder bis 20 und so weiter und so weiter. Aber auch dieser Berg ist irgendwann zu Ende, und zur Belohnung winkt am Ortseingang von Grünenbach-Schönau ein Wegweiser mit montiertem Rad, auf dem steht: „Prestelhof – Radfahrer willkommen!“ Genau das Richtige für mich. Nach 56 Kilometern Quälerei und über 500 bewältigten Höhenmetern mache ich Schluss für heute und beziehe ein schönes Zimmer in der Pension von Marion und Elmar Prestel – mit Blick auf die imposante Nagelfluh-Alpenkette, die aber während meines Besuchs meist von dicken grauen Wolken eingehüllt ist.
Der Prestelhof ist für mich an diesem zu Ende gehenden Tag eine Insel der Glückseligen – mit Dusche, restlicher
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