ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
wo ich den Lech überquere. Zwischen den Orten Epfach und Reichling, deren Namen ich bis dahin noch nie gehört habe, passiert es dann: Ich verfahre mich zum ersten Mal. Richtig heftig. Und, auf diesem Standpunkt stehe ich heute noch, das liegt keineswegs an meinem Orientierungssinn. Vielmehr an der eindeutig falschen Ausschilderung.
Hinter Epfach, an einer Steigung auf der Straße in Richtung Reichling, steht ein Hinweisschild, das – jedenfalls am 11. Juli 2007 und auch am nächsten Morgen noch – nach links auf die Romantische Straße weist. Ich folge ihm mit einem unguten Gefühl, der Radweg ist keiner, sondern ein schon stark zugewachsener Wiesenpfad, der dann in einen breiten, mit ganz grobem Schotter belegten Weg übergeht und in dichten Wald führt. Es ist schon später Nachmittag, ganz duster, und plötzlich schüttet es wie aus Eimern. Ich komme mir vor wie Gretel, die sich verlaufen hat. Ohne Hänsel, aber mit Handy und Pensionsverzeichnis im Radtourenbuch. In selbigem steht übrigens richtigerweise nichts vom Abbiegen in den Wald, wie ich blöderweise erst lese, als die Etappe längst zu Ende ist. Mein erster Anruf – wo, weiß ich nicht mehr – erwischt eine Frau, die auf die panische Schilderung meiner Situation und der Aufforderung, mir den richtigen Weg zu weisen, ebenfalls mit Nervenflattern und Ratlosigkeit reagiert. Sie kenne sich hier nicht aus und wollte mir die Nummer ihrer Schwiegermutter geben. Solch einen Tipp kann man im düsteren Wald einfach nicht gebrauchen, ich reagiere ungehalten. Sorry! Anruf Nummer zwei, im Gasthaus „Zur Sonne“, landet zunächst im Nirwana, weil die Nummer falsch ist. Bei der Auskunft erfahre ich die neue und bekomme den Wirt an die Strippe. Völlig am Rad drehend, schildere ich meine Situation, aber was kann er schon dafür? Außerdem habe er gar keine Zimmer und legt beinahe auf. Doch dann überlegt er sich’s, ein Platz zum Schlafen werde sich schon finden. Per Telefon lotst er mich, eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, zurück nach Epfach in sein Gasthaus. Als ich eintrete, sitzen ein paar Männer am Stammtisch. Sie sind mucksmäuschenstill, versuchen, mich nicht anzustarren. Als ich laut sage „Ja, ich bin die hysterische Frau, die angerufen hat“, drohen sie vor Lachen zu platzen. Und ich mit. Bei leckerem Schweinebraten, Knödeln, Bier und Gesprächen mit der herzlichen, netten Kellnerin Rosmarie Eglhofer erhole ich mich; und meine Wut auf die Schilderaufsteller legt sich. Wirt Magnus Ostenrieder ist die idiotische Ausschilderung nicht unbekannt, er ist mit dem Mountainbike auf dem Weg gefahren und sagt: „Nie wieder!“
Später lädt mich eine illustre Runde an den Stammtisch ein. Der lustige Abend wird lang. Sehr lang. Weit nach Mitternacht lege ich mein müdes Haupt in der ersten, nicht mehr bewohnten Etage zur Ruhe. Aber nicht, bevor mir Rosmarie noch Kaffee und Frühstück für den nächsten Morgen bereitet hat. Auch hier herrscht pure Gastfreundschaft.
Kapitel 15
Hier ist meckern erwünscht
Irgendwie sträubt sich am nächsten Morgen alles in mir, wieder in Richtung Reichling zu fahren, an dem irreführenden Schild vorbei. Ich fahre von Epfach auf die B 17, keine gute Idee. Das ist viel zu gefährlich, und so lauten, schnellen, stinkenden Auto- und Lkw-Verkehr bin ich gar nicht mehr gewohnt. Ich verlasse die Bundesstraße also bald wieder, wurschtle mich irgendwie nach Landsberg durch. Dort angekommen, habe ich 1500 Kilometer auf dem Rad zurückgelegt.
Weiter geht’s immer am Lech entlang. In dem Dorf Scheuring zieht mich ein Schild magisch an: „Ziegenhof Gebauer“. Ich radle hin, frage Frau Gebauer, ob ein Helfer bei freier Kost und Logis, das könnte auch im Stall sein, gebraucht wird. Und ich würde gerne mehr über die Ziegenzucht erfahren. Sie bittet mich, später wiederzukommen, wenn ihr Mann da ist. Ich überbrücke die Zeit mit einem Kaffee, den es in der Metzgerei gibt. Da ich mir das koffeinhaltige Getränk nicht regelmäßig leisten kann, wird es zum ganz besonderen, leckeren Gesöff. Seit dem Ende meiner Tour trinke ich allerdings seltsamerweise kaum noch klassischen Kaffee.
Später ist der Chef des Hofes, Günther Gebauer, da. Er lässt sich auf meine Bitte ein, und zunächst darf ich bei der Abendschicht im Stall beim Melken zuschauen und den Züchter mit Fragen löchern. Rund 300 Tiere stehen im Sommer 2007 im Stall, 240 zum Melken. 800 Liter gibt ein erwachsenes Tier im Jahr. In wohlgeordneten Kolonnen treibt
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