ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
Himmel ziehen Wolken vorbei. Das ist Heimatfilm in echt. Und atemberaubend schön. Im einen Moment steht da ein Riesenberg, der eine Minute später, simsalabim, von Wolken eingehüllt und verschwunden ist.
In Füssen scheint die Sonne. In der Touristen-Information kann man 15 Minuten lang kostenlos online sein, was ich nutze. Heute ist der 10. Juli. Es wäre schön, an meinem Geburtstag, zehn Tage später, in Erfurt bei meiner Freundin Mandy einzufahren. Vielleicht schaffe ich es sogar bis zum 19. Juli, da hat sie Geburtstag. Der Weg dahin ist allerdings noch lang.
Doch erst einmal schnell weg aus der Touristenhochburg Füssen und zum Abschied noch einen Blick auf die Schlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein geworfen. Nun komme ich auf dem Radweg „Romantische Straße“, der von Füssen nach Würzburg führt, gut voran. Und – juhu! – ich habe die Berge der Alpen im Rücken und fahre auf recht ebener Strecke. Auf dem Weg finde ich keine geeignete Stelle, die zum Übernachten im Freien taugt. Also muss ich nochmals in einer Pension buchen. Ich entscheide mich für ein Zimmer in dem märchenhaft schönen Dorf Trauchgau. Abends vertilge ich einen Steakteller mit Schweinehals und Schweinebauch und trinke leckeres dunkles Bier in der Almstube. Sie liegt etwa zwei Kilometer entfernt in malerischer Landschaft.
Am nächsten Morgen gibt’s für mich Frühstück in der Küche. Und der Hausherr ist so freundlich, die quietschende Kette meines Rades zu ölen. Die Fahrt durchs Allgäu zeigt Spuren: Die Beläge der hinteren Bremse sind völlig runter, darum muss ich mich bald kümmern. Das kostet Geld … wie überhaupt die Tour durch die Berge ein riesiges Loch in meine Reisekasse gerissen hat: 99 Euro für drei Übernachtungen. Das hätte ich mir eigentlich nicht leisten können. Mal sehen, ob meine selbstgewählte Not erfinderisch macht.
Kapitel 14
Gretel allein im Wald
Ich verlasse das schöne Trauchgau. Mein Weg, leider ist er größtenteils grob geschottert, führt dann direkt am Ort Wies und der Wieskirche vorbei. Für einen Blick in die barocke Wallfahrtskirche lohnt sich das Absteigen allemal. Aber ein regelrechter Touristenauftrieb macht es unmöglich, das Gotteshaus in aller Ruhe zu besichtigen. Ein älterer Herr fotografiert sogar beim Gottesdienst. Schnell weg!
Ich habe genug vom anstrengenden Fahren auf Schotter und wähle bis Steingaden die Straße. Hier frage ich mich nach einer Fahrradwerkstatt durch, in Peiting soll ich fündig werden. Bis dorthin fahre ich etwa 15 Kilometer durch eine sattgrüne Landschaft. Teilweise erinnert der Weg an Schilda, und vor lauter Hinweisschildern verliert man die Richtung aus dem Blick, teilweise fehlt jedweder Wegweiser; in Riesen wäre man zum Beispiel für einen Abbiegehinweis dankbar. Etwas weiter entfernt weisen drei grüne Pfeile auf drei Schildern in drei verschiedene Richtungen. Sonst nix. Zum Glück hat jemand die Schilder handschriftlich um den jeweiligen Zielort ergänzt.
Dadurch komme ich ohne Umwege in Peiting an, wo mich mein Weg zu Intersport Schuster führt. Zwei Bremsbeläge für hinten und vorne kosten allein 19,98 Euro, hinzu kommt die Arbeitszeit. Mir wird schlecht, aber Bremsen kann ich nun mal nicht einsparen. Während das Rad wieder flott gemacht wird, schaue ich mir den Ort an. Was mir in Baden-Württemberg schon angenehm auffiel, ist auch in Bayern weit verbreitet: Die zum Teil prunkvollen Kirchen stehen tagsüber für jeden Besucher offen. Oft gibt’s auf einem Schild für potenzielle Diebe den Hinweis, dass es zwecklos sei, den Opferstock aufzubrechen, er werde jeden Tag geleert. Und vor dem abgesperrten Altar heißt es: „Vorsicht vor der Alarmanlage.“ Langfingern ist offenbar nichts heilig.
Zurück im Sportgeschäft, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und frage, ob mir die Rechnung über insgesamt 39,98 Euro gestundet werden kann. Ich weiß, ich war feige und hätte das vor der Reparatur fragen müssen. Dann nuschle ich noch so ’nen peinlichen Satz, dass man mir vertrauen könnte, ich sei von Beruf Journalistin und betrüge nicht… Der junge Mann, der mich bedient, legt ein gutes Wort bei seiner Chefin ein, die ich gar nicht zu Gesicht bekomme. Meine Daten aus dem Personalausweis werden notiert, ich bekomme eine Rechnung und kann abschwirren. Danke, Florian Klein! Keine Frage, die Überweisung des Geldes folgte prompt nach meiner Rückkehr.
Mit neuen Bremsbelägen, aber ungebremst und fröhlich geht es weiter über Schongau,
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