ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
der Züchter sie nacheinander an die zwei mal zwölf Melkplätze. Trockenkraftfutter wird in die Tröge geschüttet, die Ziegen beugen sich darüber, eine Art Halskrause schnappt zu. Dann wird angemolken, nicht maschinell: Unter fachmännischer Aufsicht umfasse ich das warme, weiche Euter mit der Hand, presse ab, indem ich mit einem Finger nach dem anderen abrolle, und – simsalabim – die Milch spritzt. Dann übernimmt die Melkmaschine die Arbeit, die ratzfatz über die Bühne geht. Danach geht’s zurück in den abgetrennten Stall, und die nächsten 24 Tiere sind dran. Im Körper der Ziegen ist die Milch 30 Grad warm, nach dem Melken kühlt sie im Tank auf 3,5 bis 4 Grad Celsius ab. Eine Molkerei holt die Ziegenmilch alle zwei Tage ab, auch für die Weiterverarbeitung zu Käse. Die Tiere schlachtet Günther Gebauer selbst auf dem Hof und verkauft das Fleisch direkt an die Kundschaft.
Der gelernte Landmaschinenmechaniker betreibt den Hof mit 990 Quadratmetern Stallfläche seit 1995. Damals fing er mit 50 Tieren an. Warum Ziegen, in diesem Fall die Bunte Deutsche Edelziege? „Die Ziege ist ein reinliches Tier, immer sauber“, sagt der Züchter, und sie gebe im Gegensatz zum Schaf keine komischen Geräusche von sich. Und: „Wenn sie mich ärgern, nehme ich sie auf den Arm und trage sie weg. Das kann ich mit einer Kuh nicht“, fügt er hinzu. Außerdem sei die Milch sehr gesund und die Ziegenzucht eine Marktlücke. Das gewichtigste Argument für Tierfreunde sind jedoch ihre Augen. „Wenn man sie ansieht, kann man ihnen nicht böse sein.“ Stimmt. Die Ziegen im Stall der Gebauers meckern und springen lustig vor sich hin, sie wirken ulkig und verbreiten gute Laune. Ich werde nie wieder blöde oder doofe Ziege sagen, nehme ich mir vor. Günther Gebauer weiß vom schlechten Ruf der Tiere und erklärt: „Das kommt noch vom Krieg her. Früher hieß es, die Ziege ist die Kuh der armen Leute.“ Dabei sei die Ziege kein bisschen doof. Doch lässt sie sich austricksen. Nimmt die Natur ihren Lauf, legen Ziegen bevorzugt sieben bis zehn Wochen nach der Sommersonnenwende Brunstverhalten an den Tag. In dieser „bockigen“ Zeit geben sie keine Milch. Aber die Molkereien wollen auch im Herbst und Winter Milch, wo der Preis noch dazu am höchsten ist. Also lässt der Züchter phasenweise morgens und abends das Licht im Stall an und täuscht den Ziegen längere Tage vor. Das ist so eine Art tierische Geburtenregelung.
Inzwischen sind Wilfried und Gertrud, die Eltern von Günther Gebauer, längst eingetroffen und helfen im Stall. Manuela, die Frau des Züchters, kümmert sich derweil im Haus um die beiden Kinder Michelle (7) und Christoph, der im Sommer 2007 erst zwei Jahre alt ist. Die vier zusätzlichen helfenden Hände sind unverzichtbar. „Das geht alles nur, wenn die ganze Familie hilft“, sagt der Juniorchef. Und fährt fort: „Das vergisst Frau Künast. Ich brauche keinen Zuschuss, ich scheiß’ drauf. Die sollen mir vernünftige Preise geben.“ So lernt man Günther Gebauer schnell kennen: direkt, geradlinig, selbstbewusst. Und energiegeladen. In seiner schmal bemessenen Freizeit liegt er nicht etwa auf der Couch. Er spielt bei „The Mercuries“ Keyboard und Quetsch’n und singt. Die Partyband spielt Oldies, Tanz- und Rockmusik zum Fasching und bei vielen anderen Gelegenheiten.
Wozu Ziege alles gut ist, koste ich beim Abendessen: Den Camembert aus Ziegenmilch gibt’s zwar auch im gut sortierten Supermarkt im Kühlregal, nur nicht so lecker. Von Ziegenfrischkäse und -leberkäse höre ich hingegen zum ersten Mal. Die Salami aus dem Fleisch der Tiere ist sehr mager und schmeckt intensiv. Nach dem Essen laden mich Wilfried und Gertrud zum Übernachten bei sich zuhause ein. Auch Enkeltochter Michelle kommt mit. Nachdem ich geduscht habe, sitzen wir noch gemütlich auf der überdachten Veranda des Hauses und erzählen. Wilfried Gebauer arbeitet werktags von 7.15 bis 16.30 Uhr als Mechaniker beim nahe gelegenen Jagdbombengeschwader 32 in Lechfeld. Zum Feierabend beginnt die zweite Schicht auf dem Ziegenhof seines Sohnes. Ein ziemliches Pensum.
Am nächsten Morgen klingelt um 6.30 Uhr der Wecker, und ich radle mit Frau Gebauer wieder auf den Ziegenhof. Heute Morgen helfe ich beim Verteilen des Frühstücks für die Ziegen – Gras, das auf 30 Hektar eigenem Wiesenland fast düngerfrei wächst – und beim Fegen. Test bestanden, Günther bietet mir das „Du“ an, das ich gerne annehme. Dann zeigt er mir noch
Weitere Kostenlose Bücher