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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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Diplomatenkontakte heftig getadelt, ihn nicht, weswegen alle glauben, er sei kein echter Lebenskünstler. Als Stasi-Mann würde ich ihn immer vorziehen, denn ihm gehen feinere Gedanken durch den Kopf als anderen, über die er auch feiner sprechen kann. Er ist polyglott, gebildet und sieht haargenau aus wie Nick Knatterton. Er hat die Gabe, Menschen zur Vertrauensseligkeit zu verführen. Der hat mich noch nie angerufen. Der ruft mich an und sagt, er möchte schon lange mal mit mir sprechen. Ich würde nichts lieber tun als auflegen, sage aber: »Gern, Herr Gerstner, wann wäre es Ihnen recht?« Nach einem kleinen Hin und Her, ob bei mir oder bei ihm, schlage ich alternativlos vor: morgen abend bei mir.
    Ich fühle mich irgendwie erledigt, aber ich fühle auch, daß ich überm Berg bin, ich bin ein anderer, als ich vor einem halben Jahr war.
    Auch von einem sozialistischen Grandseigneur vom Schlage Gerstners lasse ich mich zu nichts mehr überreden. Vielleicht hat er einen kleinen Recorder in der Jackentasche oder eine Wanze. Jedenfalls kommt der nicht einfach so vorbei, er war noch nie da, es wird sich um eine Gesandtschaft handeln, um was denn sonst? Mein Plan: Herr Gerst ner, werde ich sagen, Sie sind hierher geschickt worden, haben Sie einen Auftrag, über etwas Bestimmtes mit mir zu sprechen? Jetzt wird Gerstner einen Fehler machen, denn er wird sagen: Um Gottes willen, wo denken Sie hin? Mir liegt Manfred Krug am Herzen, ich bin ganz aus eigenem Antrieb hier, nichts weiter. Hier werde ich ihn unterbrechen und sagen: Herr Gerstner, wir können einen Cognac trinken und über alles in der Welt reden, aber nicht über meinen Ausreiseantrag, den haben Sie nicht verschuldet und nicht zu verantworten. Warum sollte ich mit einer Privatperson darüber reden? Unter den Umständen bitte ich Sie sogar um Verständnis dafür, daß ich dieses Thema ausschließen muß. Dann hätte ich den Kerl aufs Kreuz gelegt, dem der Ruf vorausgeht, der schlaueste Stasi-Mann im Inland zu sein.
    Der Schauspieler Eberhard Esche ruft an. »Hier ist Eberhard.«
    »Du hättest mich früher anrufen sollen«, sage ich. »Weshalb?«
    »Du hast herumerzählt, ich würde dich hinter deinem Rücken Arschloch titulieren. Um rauszufinden, ob das stimmt, hättest du zuerst mich anrufen müssen.« »Deswegen rufe ich dich jetzt nicht an«, sagt Eberhard. »Bisher habe ich nichts auf die Gerüchte um dich gegeben. Aber jetzt klingt es doch sehr massiv.« »Jetzt ist es auch kein Gerücht mehr«, sage ich. »Mach keinen Quatsch«, sagt Eberhard. »Ich will mit dir darüber reden.«
    Wir verabreden uns zu übermorgen mittag um zwölf. Esche ist einer von den Genossen, die die Liste unterschrieben haben und die mit einer strengen Rüge dem Parteiausschluß entgangen sind. Er hat etwas gesagt, etwas geschrieben, etwas gelitten, und nun geht es ihm wieder etwas besser. Er will sicher auch wieder mal nach Holland zu den Verwandten seiner Frau, der Holländerin Cox Habbema. Ich habe nicht gesagt, er sei ein Arschloch, aber seit einiger Zeit festigt sich der Verdacht, es könnte was dran sein. Der kommt auch nicht privat. Der ist noch nie privat gekommen. Esche hat damals mit mir den Film »Spur der Steine« gedreht, er den Parteisekretär, ich den anderen. Der kennt mich, der weiß, daß es sinnlos ist, mich umstimmen zu wollen. Dem Gerstner nehme ich seinen Versuch nicht übel, der kennt mich nicht. Aber Eberhard kann in dieser Sache nur kommen, weil sie ihm gesagt haben: geh hin, versuch’s.
    Um fünf Uhr früh höre ich auf zu schreiben. Ich öffne das Fenster zum Garten, draußen ist es hell. Der dritte warme Tag in diesem Frühling hat die Knospen an der Hainbuchenhecke hervorgebracht. Die Bäumchen waren 20 Zentimeter groß, als ich sie pflanzte, jetzt kann man, wenn die Hecke im Laub steht, vom Schulweg aus nicht mehr hindurchsehen.
     
    27. April 1977, Mittwoch
    Um halb elf weckt mich Ottilie, im Zimmer sitze eine Frau vom Rat des Stadtbezirks Pankow. Ich fliege in meine Sachen, werfe mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Da sitzt ein dickliches junges Mädchen mit einem Einkaufsnetz. Sie sagt: »Ich bin vom Rat des Stadtbezirks und wollte nur Bescheid sagen, daß Sie am Donnerstag kommen können.«
    Ich sage: »Moment, das schreibe ich mir auf, heute ist Mittwoch, also morgen.«
    »Nein«, sagt sie, »nächste Woche Donnerstag, am 5. Mai, die Uhrzeit können Sie sich aussuchen. Es ist wieder Zimmer 3.«
    »Und da machen Sie sich den weiten Weg?« sage

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