Abgehauen
Fischer in Köpenick zum Essen eingeladen, es ist eine lange Autofahrt von Norden nach Süden durch die Stadt, Ottilie sitzt lustlos neben mir, die sechs Monate Aussatz haben sie nicht so mitgenommen wie diese letzte Woche des Wartens.
Fischer war nie mein Freund, dazu schien er mir zu infantil, aber ich habe ihn liebgehabt. Ich nannte ihn ganz ernsthaft den kleinen Mozart, weil er ebenso leicht Musik machte und weil er im Übermut ebenso auf Kosten anderer witzelte. Mit mir hat er keinen Schabernack getrieben, mich hat er geachtet. Obwohl ich keine Note lesen konnte, hat er mich als vollwertigen Musiker angesehen, was mir schmeichelte, und obwohl ich nur fünf Jahre älter bin als er, war ich so etwas wie eine Vaterfigur für ihn. Er beobachtete mich und übernahm einige meiner Allüren, Ansichten, Steckenpferde. Sein musikalisches Urteil war genau, ich konnte stolz darauf sein, daß er mich für einen richtigen Sänger gehalten hat, mit dem man Platten und Konzerte machen kann. Ich glaube nicht, daß er Dankbarkeit kannte. Er hat mir wohl kaum gedankt, daß ich ihm bei seinem Start als Platten- und Filmkomponist geholfen habe. Hätte ich als Sänger nachgelassen irgendwann in diesen zehn Jahren, er hätte mich ausgebootet. Wie kaum einer, war er auf Vorteile aus, er war immer scharf auf Privilegien. Als er gewahr wurde, daß ihm auf dem Weg zum erfolgreichsten U-Musiker der DDR nicht mehr viel fehlte, da ging er auch gleich den richtigen Kulturbonzen um den Bart, knüpfte Kontakte nach oben, gehörte bald zum »Reisekader« und konnte – zusammen mit seiner Frau und kinderlos – in die Schweiz und nach Italien reisen, und das will in diesem Land weiß Gott was heißen. Günther Fischer war eine kleine Macht in der DDR, beim Jazz- und Schlagervolk ebenso beliebt wie bei den Kulturobristen. Er hatte in eine gut situierte, clevere Mittelstandsfamilie und in ein hübsches Einfamilienhaus hineingeheiratet und war schließlich der bestverdienende Musiker im Land. Nicht den politisch engagierten Kopf Fischer hatte ich damals im November angerufen, um ihn zu fragen, ob er seine Unterschrift hergeben wolle, sondern den reichen Günstling Fischer, der außerdem ein Talent war und eine Weile ohne Arbeit gut hätte durchhalten können. Er kam damals in meine Wohnung und unterschrieb sofort. Ich glaube nicht, daß er die Tragweite begriffen hatte, die hatten wir alle nicht begriffen. Er war vielleicht wirklich der einzige, der es mir zuliebe getan hat. Sicher, es kann auch sein, weil Plenzdorf, Schlesinger, Thate und Domröse damals in meiner Wohnung waren, lauter achtbare Leute, vor denen er nicht als Feigling dastehen wollte. Aber nein, der Gedanke ist schöner, daß er es mir zuliebe getan hat, und das werde ich ihm nicht vergessen. Für einen Augenblick war er richtig fröhlich, mit so angesehenen Kulturschaffenden auf einer kessen Liste zu stehen, da mußten doch noch welche dazukommen, es flogen ihm die Namen nur so aus dem Mund: Paul Dessau, Manfred Wegwerth, Siegfried Matthus und andere. Aber als zwei von denen nicht zu erreichen waren und alle drei nicht zu gewinnen, da wurde er still und ernst. Danach rief er mich jeden Tag an und fragte, wie es steht und wie es mir geht. Das ging ein paar Tage, dann hörte ich nichts mehr von ihm. Wenig später hat Werner Lamberz sich mit ihm gebrüstet und ihn verraten, in unserem Gespräch sagte er: »Sogar dein Fischer hat die Unterschrift zurückgezogen!« Sonst wäre es nie rausgekommen, und ich würde mich heute noch wundern, warum Fischer nahtlos weiterarbeiten konnte. Wie viele mögen es inzwischen sein, die einen Rückzieher gemacht haben? Wir kommen in der ländlichen Vorstadtstraße an, Fischer erwartet uns schon im Vorgarten. Er sperrt den großen Köter ein, und dann essen wir zu Abend. Knoblauchsuppe und Filetgulasch. Es wird wenig gesprochen. Was zu besprechen war, haben Fischer und ich unter vier Augen während unserer einsamen Autofahrten durch Mecklenburg erledigt, wo vor »erlesenem« Publikum unsere letzten Konzerte stattgefunden haben. Wir fuhren zum erstenmal allein in meinem Wagen, seine Autos waren kaputtgegangen.
Wir stochern uns durch den Filetgulasch und genießen die Trauer des Augenblicks. Ob wir uns wiedersehen, wann, wo, ob wir je wieder zusammen Musik machen werden, ob die schönen Lieder noch einmal erklingen werden, ob damit noch eine Mark zu verdienen sein wird, ob sie im Osten die Songs von Fischer und Krug je spielen werden, ob Krug sie im
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