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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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in der Zeit widerfahren ist, erzählt von seinen Niederlagen, Hoffnungen, Krankheiten, auch von seinen Problemen als Schriftsteller. Ich habe das Gefühl, er will nicht wissen, warum ich gehe, er will mich wissen lassen, warum er bleibt. Aber mir ist klar, daß man als Westausländer in der DDR leben kann. Nahrungsmittel, Mieten und öffentlicher Verkehr sind billig, Haus und Grundstück erschwinglich, Rauschgiftkriminelle und Einbrecher kommen so gut wie nicht vor. Wer das Glück hat, sich den Wind der Welt um die Nase pfeifen zu lassen, sitzt in der DDR am wärmsten. Das Reisen erweitert den Horizont, und schließlich sieht man immer schärfer auch die Vorzüge, die dieses Land bietet. Man kann den Niedergang des Kapitalismus angstlos und doch selbst erleben und ist nicht länger auf die Beschreibungen dieses Niedergangs angewiesen, von denen unsere Zeitungen und Funkkommentare derart strotzen, daß sie kein Mensch mehr glaubt. Walter sagt: »Mich regt auf, daß wir kein Klima schaffen können, in dem Leute wie du eine Heimat haben. Es gehen gute Leute, einer nach dem anderen, wo soll das hinführen? Mit Biermann war das anders. Mag er der Heine und der Villon unserer Tage sein, er läßt nicht mit sich reden, das ist sein Makel. Es gab eine Szene zwischen ihm und mir – lange her –, wo er mir zwei seiner Quarthefte schenkte und ich irgendwelche Lappalien an seiner Arbeit kritisierte, seine Unsachlichkeit zum Beispiel. Da wurde er sehr massiv und machte mich zur Minna: Du hast es nötig, du bist doch dafür ausgesucht, in der Welt herumzureisen und den DDR-Kindern zu sagen, daß draußen ein Drache herrscht und daß sie froh sein sollen, wenn ihnen dieser Drache nicht auf den Hals kommt. Das war unter der Gürtellinie. Es war nicht mit ihm zu reden. Trotzdem stinkt mich an, daß nie der Versuch gemacht worden ist, eine öffentliche Diskussion mit ihm zu führen, nicht mal im Schriftstellerverband, und daß hier eine Bevormundung stattfindet, die ohnegleichen ist: Ihr habt nachzubeten, was wir vorbeten. Basta.« Immerhin müsse Biermann sich fra gen lassen, wem er drüben 440 000 Mark wert sei, so viel solle er inzwischen verdient haben. Und er müsse zusehen, daß er die Linke drüben nicht noch weiter spalte. Welche Linke er drüben meine, frage ich, etwa die Splitter von DKP und KPD und Maoten? Was soll er da noch spalten? Es sei kein Zufall, daß die Kommunistische Partei Westdeutschlands pro Kopf die kleinste auf der Welt sei. 0,3 Prozent, das sei genau der Anteil, der uns bei den Wahlen in der DDR an 100 Prozent fehlt.
    Walter fragt: »Warum, glaubst du, sind die Repressalien gegen dich härter als gegen die anderen, die Schriftsteller zum Beispiel?«
    »Vielleicht war die Liebe zwischen uns beiden einfach tiefer, zwischen der DDR und mir«, sage ich. »Nein, im Ernst: weil man einem Schreiber die Arbeit nicht wegnehmen kann. Wenn die Partei in Borna auf der Bahnhofstraße lanciert, Heiner Müller sei ein Kannibale, dann stirbt das Gerücht auf der Stelle ab, weil die meisten Leute erst fragen; wer ist Heiner Müller? Erzählst du so was über einen Schauspieler, so erzählt es bald das ganze Land. Mit Rufmord dieser Art kann man nur populäre Personen treffen. Bei Schriftstellern ist es umgekehrt, du kannst sie damit popularisieren.«
    Walter: »Was machst du in diesen Tagen?« »Weißt du, warum es hier so stinkt? Weil ich im Kamin kiloweise Briefe und Notizen verbrenne. Ich führe ein Tagebuch. Mit meiner Schreibkunst ist es nicht weit her, das weißt du ja, seit ich versucht habe, eine Geschichte von dir zu übersetzen. Ich mache es trotzdem. Aus Wut und weil ich beleidigt bin, und ich furchte schon jetzt, manche Passage später zu bereuen. Im Augenblick habe ich nur das Papier, das die Rechtfertigungsversuche für meine Flucht hinnimmt, ohne sich nach meinem Klassenstandpunkt zu erkundigen. Da ist nur noch eins, was mir ein schlechtes Gewissen vor den Bürgern dieses Landes macht: nun doch ein letztes Privileg in Anspruch zu nehmen, das nur für wenige da ist, nämlich gehen zu dürfen. Ein Teil der Leute wird sagen, was will der eigentlich? Wir haben für unsere Arbeit einen Bruchteil von dem Geld verdient, das sie dem in den Rachen gestopft haben. Nur weil er andere Sonderrechte nicht hatte, will er jetzt verschwinden? Andere werden sagen, wenn’s dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Andere werden sagen, der hat uns im Stich gelassen. Sie alle haben recht und unrecht. Mein Vertrag mit der DEFA

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