Abgehauen
Westen wird unterbringen können, ob es je Neues von den beiden geben wird … Beim Abschied präge ich mir den kleinen Mozart noch einmal ein, von dem ich mich nicht besonders verraten fühle, und seine Frau Petra, die von ihrer Mutter die großen Brüste geerbt hat und das endlose Nachdenken darüber, was von Vorteil ist und was nicht.
Wir fahren in die Stadt zurück, wo wir bei einem ausländischen Diplomaten einen Wodka einnehmen werden. Unterwegs pfeift Ottilie die Biermann-Zeile »Leben steht nicht auf dem Spiele, euer Wohlleben ja nur.« Mittlerweile gibt es so viele starke Biermann-Zeilen, daß sie im Osten wie Bibelsprüche ausgeteilt werden. In seinen Versen kommen die Sachen vor, die uns bewegen. Ist es das »bessere Deutschland«, das ich jetzt hinter mir lassen will, Biermann? Ich frage mich, ob du dir da selbst noch sicher bist.
In der kleinen Diplomatenwohnung in der Leipziger Straße treffen wir Bekannte, die von einem Empfang in der Portugiesischen Botschaft kommen, schönen Gruß von der Gemahlin des Botschafters, warum ich nicht gekommen sei, sie habe mich schriftlich eingeladen. Davon weiß ich nichts. Zunehmend fehlt Post in meinem Briefkasten.
Jutta Hoffmann, seit einigen Jahren Mitglied des BERLINER ENSEMBLE, ist unter den Gästen. Ich erzähle ihr von meinem Tagebuch und frage, ob sie nicht Lust hätte, eine Kleinigkeit beizusteuern. Sie kuckt eigentlich unglücklich. Und das kommt so: Wenn Jutta Hoffmann spielt, ist sie alles, was es auf der Welt gibt, aber den ganzen restlichen Tag über, wenn sie nichts zu spielen hat, dann kuckt sie eigentlich unglücklich. »Habe ich dir die Geschichte mit dem DEFA-Generaldirektor schon erzählt? Nein? Also, ich, mitten bei der Arbeit, hab ihn dort irgendwo im Filmgelände getroffen, in einem lila Kostüm und mit onduliertem Haar bin ich in sein Büro und frage ihn, warum er den Regisseur Egon Günther daran hindert, mit mir, Jutta, einen seit langem vorbereiteten Film zu drehen. Egon hat kein Drehbuch dazu geschrieben, weißt du? Warum auch, er hat den Film im Kopf. Da überschüttet mich der Generaldirektor mit einem Schwall von Worten, von denen ich mir nur die folgenden gemerkt habe: Wir müssen jetzt ein paar Filme drehen, die meine Position stärken. Und da hab ich gesagt, ich hätte noch nie im Leben einen Film unter dem Aspekt gedreht, eines Generaldirektors Position damit zu stärken.«
»Gut gegeben, Jutta«, sage ich. Hat die eine Ahnung. Heute habe sie sich so aufgeregt, sagt sie, sie sei von den »Erben« vorgeladen worden. »Wer sind die Erben?« frage ich.
»Die Erben«, sagt Jutta, »das sind die Erben der Brecht-Rechte, Brechttochter Barbara Berg und Brechtschwiegersohn Ekkehard Schall, die wollen genau dasselbe, was die Regierung will, die wollen ausdrücklich hören, daß man mit der abgedankten Intendanz unglücklich war und mit der neuen glücklich ist. Aber wer mich engagiert hat, das war die Berghaus, sie hat mich gemocht. Das heißt doch, daß sie gesehen hat, wer ich bin, das heißt doch, daß sie gewußt hat, was Qualität ist. Ich war nicht unglücklich mit ihr, ich war glücklich. Und nun haben sie schon alle rumgekriegt, nur Jürgen Holz und mich nicht.« »Schmetterlingen darf man nicht auf die Flügel grapschen, und Schauspielern darf man nicht Gewalt antun«, sage ich. »Schon die unscheinbaren unter ihnen beschädigt man damit. Die schönen großen aber, wie dich, mein Schatz, sollte man nicht einmal rumkriegen wollen.« »Deine Gleichnisse sind immer so leicht zu verstehen, mein Bester«, sagt Jutta.
26. April 1977, Dienstag
Jetzt haben sie meinen Antrag eine Woche. Wir packen keine Koffer mehr, es könnte sein, daß wir sie alle wieder auspacken müssen. Zwölf stehen fertig im Eßzimmer, es sieht aus wie in einer Gepäckaufgabe.
Laub und Kiefernnadeln verstopfen die Abflüsse der Dachrinne, es läßt mich kalt, daß der Regen sich seinen Weg an der Wand runter sucht, es pladdert vor den Fenstern. Der alljährliche Schaden an den Gasboilern, ich habe zwei eingebaut, damit einer immer funktioniert, bleibt unbehoben, wir erwärmen das Wasser auf dem Herd, die Hähne tropfen, der Zaun rostet, von der grünen Laube und von den Fenstern blättert die Farbe.
Das Haus ist ohnehin zu groß. Wenn die Kinder uns einst verlassen hätten, würden Ottilie und ich einander in den Räumen suchen müssen. Mir hat jetzt schon das soziale Gewissen geschlagen. Ein Blick durch die Kastanien auf die benachbarte Mietskaserne,
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