Abgehauen
in Amsterdam habe ich das gemerkt. Sein Name ist eine Legende geworden, die mit ihm selbst nicht viel zu tun hat. Ich teile seine Liebe zu Carillo und Berlinguer, die sie ihm so übelgenommen haben. Nicht aus meiner Klassenverbundenheit – davon verstehe ich nichts, weil ich zu der Klasse nicht gehöre –, aber sagen wir mal: aus Herzenssympathie. Biermann weiß, daß für die beiden eine Niederlage immer drin ist, so wie für Allende, der als erster den gewaltlos erreichten Sozialismus praktizieren wollte. Und prompt war die CIA da. Da ist erst mal dieses schreckliche Beispiel. Und da ist dieser einzige Traum, den wir alle hatten, im Arsch. Wir wollen abwarten, ob sie es in Italien schaffen. Daß es zu erreichen ist ohne unsere Diktatur des Proletariats, ohne unsere schäbigen provinziellen Methoden, das bezweifle ich. Ich kenne kein anderes sozialistisches Land auf der Welt, das nicht diese häßlichen stalinistischen Entartungen aufweist, die immer Diktatur des Proletariats genannt werden. Ich habe die Fähigkeit, mich blind zu machen gegen alles, was ich nicht sehen will, deshalb kann ich viel aushalten. Aber manchmal weiß ich nicht mehr, ob die Hoffnungen noch da sind, ob es sich lohnt, die Jahre verrinnen zu lassen, das Leben dranzugehen. Deshalb verstehe ich meine Frau, und ich verstehe dich. Es ist aber schöner, wenn die Freunde mit in der Patsche sitzen, als mitansehen zu müssen, daß einer nach dem anderen geht.« Ich: »Ich werde oft gefragt, warum sie mit mir so hart umgegangen sind. Warum sind sie mit dir so weich umgegangen?«
Esche: »Dafür gibt es sicher mehrere Gründe. Eigentlich habe ich mich ja auch ganz anständig benommen. Also ich klingle damals bei der Tine, da fallen mir gleich die ganzen Weiber um den Hals, und es waren sehr viele. Ach, Eberhard, daß du da bist, komm rein, kannst gleich mit unterschreiben. Der einzige, der richtig seinen Namen hingeschrieben hatte, quasi sein Autogramm, das war der Ekkehard Schall. Nun hockte da dieses ganze Anarchistengesindel herum, das ich nicht mag, also bin ich in die Küche gegangen, und dann bin ich nach Hause gegangen. Das andere weiß man.« »Ich weiß nichts.«
Esche: »Ich habe es nicht bereut, aber ich wußte von vornherein, daß es ein großer Fehler war, ein großer Unsinn. Die Biermannausweisung war der große Fehler, in dessen Folge es nur noch Fehler gab. Das war am Donnerstag. Am Freitag weiß es meine ganze Partei. Niemand hatte sich vorher um mich gekümmert, wie sie später behauptet haben, die Schweine. Am Sonnabend hatte ich ›Wintermärchen‹. Das ›Wintermärchen‹ lag ihnen von Anfang an im Magen. Da haben sie das Gerücht in die Welt gesetzt: Der Esche hat sich in der Maske von Heine vor Biermann verbeugt. Ich hatte Parteiquerelen mit diesem Roland Bauer vom ZK, der gar nicht in der Vorstellung war. Zuträgereien, gemeine Denunziationen, der übliche Dreck. Es gab kein Plakat, keine Kritik. Lern du mal 26 Caput aus dem Kopf, das sind 50 Seiten! Ich komme also am Sonnabend ins Theater und finde eine zitternde Kreisleitung und einen zitternden Vertreter der Bezirksleitung und einen zitternden Intendanten. Ich sage: Keine Angst, ich weiß Bescheid. Ich mach das. Ich habe alles vorbereitet, habe schon mit dem Beleuchter gesprochen. Wenn da im Publikum ein Tumult losgeht, lasse ich Spotlicht auf die Leute geben, und ich weiß, was ich ihnen dann sagen werde. Da waren sie etwas beruhigt. Ich habe das ›Wintermärchen‹ gegeben. Und unser Publikum ist das beste der Welt. Die haben mitgespielt. Ein einziges Mal gab es einen dummen Applaus, nämlich an der Stelle:
Gedankenfreiheit genoß das Volk,
Sie war für die großen Massen,
Beschränkung traf nur die g’ringe Zahl
derjen’gen, die drucken lassen.
Plötzlich machte da einer Unruhe. Ich sah ihn scharf an und sagte: ICH! SPRECHE! HIER! HEINRICH! HEINE! Da war Ruhe.
Und gleich nach der Vorstellung kommt ein Bühnenarbeiter zu mir mit einer neuen Petition, und ich sage, Junge, überleg dir, was du machst. Dein Arbeitsplatz ist dir vielleicht nicht wichtig, aber hier geht es um das DEUTSCHE THEATER, wenn wir hier eine Gruppenbildung aufmachen im Haus, dann setzt du unser aller Arbeitsplatz aufs Spiel. Schreib, was du willst, aber sammle keine Unterschriften, es gibt Idioten genug – ich gehöre dazu –, die das schon gemacht haben. Der Junge hat auf mich gehört, das ist dann irgendwie bekanntgeworden und hat mir einen Pluspunkt eingebracht. Dann kam Hiemer mit
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