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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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einem Zettel zu mir, den er ans Schwarze Brett kleben wollte. Ich riet ihm ab, er hat dann unsere Petition mit unterschrieben. Dann kam Rolf Ludwig, der wußte gar nicht, daß er unterschrieben hatte, das hatte die Käthe Reichel für ihn besorgt, er kam auch mit einem eigenen Zettel. Das alles habe ich versucht zu verhindern, weil ich meinte, daß meine Schauspielerkollegen schon gar nicht wissen, was sie tun, die sind einfach dumm. Das alles wurde mir wahrscheinlich als positive Haltung ausgelegt. Ich hatte drei, vier Unterredungen mit der Partei, und sie haben nicht verlangt, daß ich die Unterschrift zurückziehe. Nur einmal deutete sich so was an, da bin ich aufgestanden und habe gesagt: Ich bin seit 20 Jahren Mitglied der Partei, was ich nicht bereue. Ich möchte auch nicht gezwungen werden, es zu bereuen. Wenn man von mir verlangt, eine Unterschrift, zu der ich stehe und die ich aus Herzensbedürfnis geleistet habe, was vielleicht im Widerspruch zu meinem Verstand stand und paradox klingt, zurückzuziehen, dann weiß ich nicht, ob ich nicht die 20 Jahre bedauern würde. Dann habe ich lediglich zugegeben, daß die feindlichen Medien uns mißbraucht haben, das Übliche, und daß ich damit gegen die Parteistatuten verstoßen habe. Damit war die Sache erledigt …«
    Auf dem Tisch liegt aufgeschlagen ein Buch von Montesquieu, seine »Wahrhaftige Geschichte«, die ich versuche, vor dem Einschlafen zu lesen, und da fand ich den Satz: »Wer in der Gesellschaft vorwärtskommen will, der muß nur ein halber Dummkopf und ein halber Lump sein. So nämlich steht er sich mit aller Welt gut, denn dann berührt er sich nach vier Seiten: mit den Dummen und den Geistreichen, den Lumpen und den Ehrlichen.« Da ich selbst ein geistreicher Lump bin und dumm und ehrlich dazu, frage ich mich, wie ich in solche Schwierigkeiten geraten konnte.
    Niemand wird mir glauben, daß Esche vier Stunden geredet hat und ich ganze fünf Minuten. Darin bringe ich auch die Frage unter: »Haben sie eigentlich je versucht, dich für die ›Firma‹ anzustellen? Waren sie mal bei dir mit der Bitte, Leute auszuforschen?«
    Eberhard ist der einzige, der auf diese Frage völlig unverkrampft reagiert: »Ja. Freilich. Da habe ich gesagt, ihr könnt jederzeit zu mir kommen. Das haben sie dann auch in Abständen immer mal gemacht, ein oder zwei Herren. Ich habe mich gern mit ihnen unterhalten, ich konnte ihnen immer sagen, was mir hier nicht paßt. Sie haben von mir nie erfahren, was ich von anderen Leuten halte. Manchmal sind sie eine ganze Weile nicht gekommen, aber jetzt waren sie wieder da, im Januar. Sie benahmen sich nie dreist und haben nie Schlimmes von mir verlangt. Ich glaube, daß ich auch immer Verbindung zum CIA hatte. In Leipzig hatte ich einen Freund, der haute in den fünfziger Jahren ab und wurde später Kulturmensch beim RIAS, Spezialist für den Osten. Und der schickt seit Jahren Leute zu mir, oft welche vom BBC. Einmal stellte sich ein Herr vor, er heiße soundso, bekleide einen gewissen diplomatischen Rang in Westberlin, und falls ich glaubte, deshalb in Schwierigkeiten zu kommen, möge ich das Gespräch vergessen. Ich sagte, das trifft sich gut, ich arbeite seit vielen Jahren für den Staatssicherheitsdienst der DDR, und wenn Sie glauben, deswegen in Schwierigkeiten zu kommen, so sollten auch Sie unser Gespräch vergessen. Wir hatten eine nette lockere Verbindung miteinander, ich hab ihm erzählt, was es nur gab, ein paar richtige, ein paar falsche Sachen, es war eine amüsante Angelegenheit. Die vom BBC wechseln immer ab, neulich war ein ganz anderer da. Ich sage ihnen immer gleich auf den Kopf zu, daß ich sie für Agenten halte, dabin ich Schauspieler, weißt du, das interessiert mich aus dieser Ecke. Haben sie mal versucht, dich zu gewinnen?« Ich: »Niemals.«
    Esche: »Nun, die halten mich für einen gutmütigen Trottel. Bin ich ja auch.« Esche spinnt, wenn er’s Maul aufmacht. Wir essen jeder einen Teller Zwiebelsuppe, die Ottilie gekocht hat, und diese Suppe ist das einzige, was uns gut bekommen ist an diesem Tag.
    Unsere Familie rückt enger zusammen. Ich habe nie so viel mit den Kindern gespielt, meine Frau lange nicht so innig umarmt, so dicht mit ihr zusammengehockt wie in den letzten Wochen. Ich erinnere mich einer Szene aus den Kindertagen, wo ich versprochen hatte, vom 10-Meter-Turm zu springen. Da oben stand ich lange, die längste Viertelstunde meines Lebens. Dann bin ich die Treppe wieder hinuntergeklettert, vorbei

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