Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
dramatischen . Sie möchte sich die Brüste operieren lassen.
»Seit jeher ist sie so platt gewesen, dass man Curling auf ihr spielen könnte. Flach wie ein Brett. Was will sie denn, Herrgott? Da hört doch alles auf. Ich habe nachgedacht, seit Monaten denke ich bereits darüber nach. Tag und Nacht. Jetzt reicht’s. Meine Entscheidung ist auch schon offiziell. Ich kehre nach Hause zurück.«
Ich gerate ins Grübeln und finde keine passenden Worte. Schließlich ist es Achille, der wie ein Fluss bei Hochwasser alles mit sich reißt.
»Sie verändert sich, Andrea. Sie verändert sich.«
»Ach was, Achille, das ist nur ein Eindruck. Mach dir keine Gedanken. Du hast dich entschieden? Perfekt. Dann kehre nach Rom zurück. Du wirst schon sehen, dass sich alles wieder einrenkt. Man muss sich nur wiederfinden, an der Beziehung arbeiten, sich nahe sein. Komm schon.«
»Sie lutscht ihn mir nicht mehr.«
»Achille, das ist geschmacklos.«
»Ah, spricht da Benedikt XVI.? Geschmacklos. Man hört förmlich, wie er es sagt: ge-schmack-los .«
»Achille, verdammt, du redest von deiner Frau, da solltest du wenigstens ein Minimum an Zurückhaltung an den Tag legen. Es geht nicht darum, Petrarca zu zitieren.«
»Genau. Sag du mir, wer ihn mir lutschen soll, wenn nicht meine Frau.«
»Abgesehen davon, dass du ihn dir von ganz Osteuropa hast lutschen lassen, erspare mir wenigstens die Details, was deine Frau betrifft, oder ist das zu viel verlangt?«
»Okay, okay, ich erspare sie dir.«
»Herzlichen Dank.«
»Tatsache ist, dass sie ihn mir nicht mehr lutscht.«
»Leck mich.«
Die Diskussion wird von Valentina unterbrochen, meiner Sekretärin, die ins Büro hereinplatzt und mir mitteilt, dass Giuseppe mich sofort sprechen muss. Was für gewöhnlich eine einfache Fahrt in die Hölle bedeutet, begrüße ich jetzt wie eine Einladung zum Galadiner.
»Wir reden später weiter«, sagt Achille.
»Nein danke, kein Interesse. Erzähl’s Nicola. Ich möchte nichts mehr damit zu tun haben.«
»Aber Nicola ist doch schwul, oder, Nicola?«
Als Nicola, hochrot im Gesicht, eine Orange nach Achille wirft, laufe ich schnell aus dem Zimmer.
9
In Giuseppes Büro herrscht eine unnatürlich entspannte Atmosphäre.
Das Headset hängt an seinem Ohr, er bedeutet mir, Platz zu nehmen, zwei Sekunden, dann lege ich auf, nichts Wichtiges , und formt mit den Lippen die Worte meine Frau . Ich versuche, nicht auf das angeregte Gespräch zu lauschen, setze mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und betrachte die Rauten an meinen Socken.
»Was hast du ihm denn gegeben?«, platzt Giuseppe heraus.
»…«
»Aber das hilft doch nicht. Du musst ihm Imodium geben.«
»…«
»Ach was, zu stark. Er ist ein Sobreroni, der verträgt alles.«
»…«
»Hat er denn wenigstens zu scheißen aufgehört?«
»…«
»Um Himmels willen. Macht er noch Aa , ist das besser? Hat er nun aufgehört oder nicht?«
»…«
»Na ja, irgendwann wird er sowieso leer sein. Halt mich auf dem Laufenden. Ruf aber auf jeden Fall den Kinderarzt an. Und halt mich auf dem Laufenden. Ich melde mich später. Ciao. Ja. Okay. Ciao.«
Giuseppe legt den Ohrstöpsel auf den Schreibtisch und greift nach einem Stift.
»Giacomo hat Durchfall«, bringt er mich auf den neuesten Stand, während er etwas auf einen Klebezettel schreibt.
»Ja.« Ich verziehe das Gesicht. »So etwas hatte ich mir fast schon gedacht.«
Giuseppe hat zwei kleine Kinder, Martina und Giacomo.
Die zwei kleinen Kinder hat er schon seit zehn Jahren, aber niemand hat je daran gedacht, den Satz zu aktualisieren, vielleicht weil er so zärtlich klingt. »Er hat zwei kleine Kinder.« – »Du hast Recht, er kann keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Von einem Wandbrett hinter dem Schreibtisch schauen die beiden kleinen Kinder aus dem Rahmen, in den sie seit Jahren eingeschlossen sind, auf Giuseppe hinab. An der Wand neben den beiden strahlt auf einem uralten Blatt Papier eine orangefarbene elliptische Sonne und bescheint ein paar traurige, dürre Büsche, die ihren Schatten wiederum auf zwei ebenso dürre, furchterregende Wesen werfen – ein großes und eines mit langen gelben Haaren –, außerdem auf zwei verwachsene Zwerge. Das Bild war von einem der beiden kleinen Kinder anlässlich eines längst vergessenen Vatertags gemalt worden. Giuseppe schaut es oft an, wenn er über die beste Lösung für ein juristisches Problem nachdenkt, dann reißt er den Blick plötzlich los, wie angeekelt, und überfällt uns mit
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