Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
wieder Platz zu nehmen und weiterzumachen.«
»Unmöglich.« Boraletti streicht sich über den Bart.
»Was heißt unmöglich?«, platzt Emily heraus, sichtlich irritiert.
Ich schaue zu Donato hinüber, der die Szene mit gesenktem Kopf verfolgt und in sich hineinkichert. »Typisch Frau. Das ist wirklich typisch Frau.«
»Unmöglich, weil ich um neun im O’Batti in Santa Margherita einen Tisch bestellt habe, und um dorthin zu kommen, braucht man hübsche eineinhalb Stündchen«, antwortet Boraletti mit der heiteren Gelassenheit desjenigen, der ein unausweichliches Schicksal verkündet und sich gar nicht erst dagegen zu wehren gedenkt.
Emily öffnet den Mund, aber es kommt nur Luft heraus. Boraletti beugt sich zu ihr hinunter, küsst sie auf die Wangen und bittet sie, wenn sie irgendwann wieder zu Hause sein sollte, London von ihm zu grüßen. Ich wende mich an Donato und frage, was wir denn nun tun. Donato lockert die Krawatte, seufzt und sagt: »Tja, eine Menge.« Dann steht er auf, verzieht sich in die äußerste Ecke des Sitzungssaals und telefoniert. Boraletti verlässt derweil mit einer großen Abschiedsgeste den Raum.
Ich bleibe sitzen, die Hände auf den Schenkeln und den Blick auf Emily gerichtet. Hat mich sehr gefreut, dich wiederzusehen , hatte Eleonora zu mir gesagt . Emily beugt sich vor und zieht das Netzgerät von ihrem Laptop aus der Steckdose. Sorgfältig wickelt sie das Kabel auf und steckt das Ganze in das vordere Fach ihrer Computertasche. Ich würde es lieben wie mein Eigenes. Emily sammelt ihre Papiere zusammen und steckt sie in eine Plastikmappe, die sie auf den Laptop legt. Dann schließt sie den Reißverschluss. Bei dir hat immer alles mit der Arbeit zu tun. Emily nimmt den gelben Trenchcoat vom Garderobenständer. Mit fließenden Bewegungen zieht sie ihn an und schließt den mittleren Knopf. Zur Zeit ist eine schwierige Phase, oder irre ich mich? Emily zieht einen Kakaobutterstift aus der Tasche und kremt sich die Lippen ein. Sie nimmt den Riemen ihrer Laptoptasche und hängt sie sich über die Schulter. Jetzt wendet sie sich an Donato, um sich von ihm zu verabschieden, aber der telefoniert immer noch, beobachtet dabei eine Taube, die auf dem Balkon herumhüpft, und schreit ein wiederholtes Nein in den Hörer. Seine Hand fährt in einer angespannten Geste durch die Luft. Hi, Andrea. Es ist ja schon eine Weile her … Emily zuckt mit den Achseln und wendet sich mir zu. Ich schaue in ihre braunen Augen. Puderzucker oder Zitronenbaiser?
»Ich werde mich jetzt auch verabschieden, Andrea.«
»Emily«, sage ich und springe auf.
»Was denn?«, fragt sie und tritt bei so viel Überschwang unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Äh, nichts.« Ich bin nicht vorbereitet. »Gute Reise. Das wollte ich nur sagen.«
»Danke, aber ich fliege heute Abend noch gar nicht. Ich gehe ins Hotel zurück. Und morgen fahre ich zu meiner Familie nach Mantua, um das Wochenende mit ihr zu verbringen. Ich werde mir deinen Wunsch aber für Sonntagabend aufheben.«
Puderzucker oder Zitronenbaiser?
»Emily?«
»Ja?«
»Was machst du heute Abend?«, frage ich mit tonloser Stimme.
»Heute Abend schlafe ich. Keine Ahnung, wie es dir geht, aber diese drei Tage waren nicht gerade ein Kinderspiel. Und obwohl Boraletti es anders hinstellt, bin ich nicht allzu optimistisch. Ich glaube, dass noch eine Menge Arbeit auf uns wartet. Zu viel Arbeit, fürchte ich.«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Wir werden das schon hinbekommen. Giuseppe sagt immer: Muss ich es hinbekommen? Ich werde es hinbekommen! «
»Klar«, sagt sie und senkt den Blick.
Plötzlich geraten meine Worte außer Kontrolle – eine ohnehin mehr als prekäre Kontrolle – und sprudeln hemmungslos aus mir heraus, um mit einer Färbung, die ich selbst nicht kenne, an meine überraschten Ohren zu dringen. Gespannt höre ich mir zu und feuere mich an. Und hoffe, nicht enttäuscht zu werden.
»Ich habe zwei Karten«, sage ich.
»Zwei Karten?«
»Äh, ja. Zwei Karten für ein … äh … ein … ein … ein ganz großartiges Konzert. Die hatte ich schon vor Ewigkeiten gekauft. Zwischen all den Sitzungen, mark-ups und dem ganzen anderen Kram hatte ich das vollkommen vergessen. Na ja, letztlich hatte ich das Konzert schon abgeschrieben. Aber jetzt, keine Ahnung, es ist erst halb sechs. Wenn wir wollten, hätten wir sogar noch alle Zeit der Welt, um uns fertigzumachen. Ich meine, wenn wir wollten … In letzter Zeit war ich nicht sehr gut organisiert, und jetzt
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