Abgeschaltet
hauptberuflich. Der Ingenieur übt sein Amt als Gemeinderat wie elf andere Insulaner ehrenamtlich aus, zwei bis drei Stunden am Tag koste es ihn. Der Einzige, der auf der Insel von der Politik leben kann, ist der Bürgermeister.
In seinem Haus nutzt Olsen kein Öl, erzählt er stolz. Er habe es vor fünf Jahren gekauft, da sei der Öltank mit 600 Litern befüllt gewesen. 200 Liter davon seien noch immer da. Ist das noch konservativ? Mit den Parteigrenzen nimmt man es auf Samsö ohnehin nicht so ernst. Nach der Sommerpause soll eine neue Verordnung im Gemeinderat verabschiedet werden, die bei allen Neubauten vorschreibt, dass die in Dänemark geltende Mindestwärmedämmung um 25 Prozent übertroffen werden muss. »Nur die Rechten sind dagegen«, erläutert Olsen, dessen Partei in Kopenhagen mit der Rechtspartei koaliert. Die Sozialisten hätten Zustimmung signalisiert.
Auch gegen das Projekt Energie-Insel seien die Konservativen nicht gewesen, allenfalls hätten am Anfang nicht alle Samsinger alles verstanden. In der nächsten Phase habe man den Plan bejaht, weil er Jobs für die Einwohner und zusätzliches Einkommen für die Bauern versprach. Heute würden die Menschen das Projekt sogar mögen. Auch Olsen verweist darauf, dass die wirtschaftliche Beteiligung der Einwohner entscheidend sei. »Wenn die Windturbinen ein großer Energiekonzern aufgestellt hätte, sähe das wohl anders aus.«
Ich frage Olsen, wie man solche Modelle auf größere Einheiten – Länder oder die ganze Europäische Union – übertragen könne. Und er hält ein flammendes Plädoyer für die kommunale Selbstbestimmung: »Solange Politiker entscheiden wollen, wie wir auf alternative Energien umstellen, wird das niemals erfolgreich sein. Es muss von den Menschen kommen.« Die EU sollte vor allem dafür sorgen, dass Öl, Kohle und Gas teuer werden. »Öl scheint den Menschen oft billiger als alternative Energien. Aber Öl ist auch teuer, es verursacht eine Menge Umweltverschmutzung.« Das zusätzlich eingenommene Geld solle den Kommunen für die Umstellung zur Verfügung gestellt werden. Den Rest würden nämlich die Gemeinden schon selbst machen.
Während unseres Gesprächs wird der Regen auf der sonnenreichsten Insel Dänemarks immer heftiger. Meine Fähre fährt in einer Stunde. Kaum an Bord, notiere ich: Es war kein Trip auf eine Musterinsel mit einem Modell, das man einfach kopieren und jeder Gemeinde der Welt überstülpen kann. Nicht einmal für die sozialen und ökonomischen Aspekte des Projekts gilt das. Aber Samsö zeigt mir auch: Veränderung ist möglich. Mit der Bevölkerung, nicht gegen sie.
In mir hallen Fragen nach: Wie kann das Modell der Bürgerbeteiligung an der Energieversorgung unter unseren Bedingungen umgesetzt werden? Welche Rolle sollte der Staat dabei spielen? Ist es für die großen Energieversorger und Netzbetreiber eine Option, Bürger an Kraftwerken und Netzen direkt zu beteiligen? Können Städte, in denen heute bereits mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung leben und die viel weniger Fläche je Einwohner für die Energieversorgung bereitstellen können, ähnlich agieren? Welche Rolle spielen die Stadtwerke?
Man findet sicher auch außerhalb von Dänemark Gemeinden, die ihre Energieversorgung eigenständig organisieren. Nicht mit falsch verstandener Autarkie, sprich Isolation, sondern in dem Bewusstsein, dass in einer energetisch vernetzten Welt der Kunde entscheidet, wie der Strom erzeugt wird. So hat sich die Stadt München an einem Offshore-Windpark beteiligt.
Das Nachdenken in den Kommunen hat längst eingesetzt. Aber Nachdenken ist noch kein Handeln.
WAS WIR BEDENKEN MÜSSEN, UM DIE ENERGIEWENDE ZU SCHAFFEN: DIE ESSENZ EINER REISE
»Die Geschichte kennt kein letztes Wort.«
Willy Brandt, Erinnerungen
Der häufigste Fehler, den Deutsche beim Kochen einer Bolognese machen: Sie ziehen sie zu früh vom Herd. Mindestens drei Stunden muss sie köcheln, sagt man in Italien. Dafür fehlt uns im modernen Leben oft die Zeit, selbst jenen, die sich nicht mit Fertigsoßen aus dem Supermarkt-Regal begnügen.
Nun geht es bei der Frage, wie wir unsere Energie-Zukunft gestalten, um weit mehr als ein perfektes Dinner. Sondern um eine Frage, deren Beantwortung darüber entscheidet, wie wir Zivilisation und Wohlstand erlauben, ohne unsere Erde völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Insofern ist es angebracht, ein wenig unserer knappen Zeit auf diese Antwort zu verwenden. Wenn Sie das Buch bis hierhin gelesen
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