Abgeschaltet
geschaffen. Und manchmal gelinge es sogar zu vermitteln, dass es etwas Größeres, Wichtigeres als die eigenen Bedürfnisse gibt. Ganz abgesehen von einem sozialen Lernen, das durch die Situation einer kleinen Insel begünstigt wird.
Ich konfrontiere Hald mit meiner Wahrnehmung: Samsö sei gar nicht die Ökoinsel, über die man immer in den Zeitungen lese. Sondern eine schöne dänische Insel, die mehr Windstrom erzeugt, als sie verbraucht. »Es ist keine Ökoinsel«, bestätigt er. »Ichwünschte, wir hätten das vor 15 Jahren getan. Dazu hätten wir die Bauern überzeugen müssen, die Landwirtschaft komplett umzustellen. Wären wir damit die Ersten gewesen, wir hätten ein Vermögen machen können. Und viel mehr Menschen würden heute auf der Insel leben.« Dafür sieht Hald allerdings keine Chance: Die Bauern müssten dafür ihre Anbaumethoden komplett verändern. Und Verhaltensänderungen sind immer sehr schwer durchzusetzen.
DIE KÜNSTLERIN
Das Erste, was mir an Malene Lundén auffällt: Sie läuft barfüßig durch die Energie-Akademie. Erst dann bemerke ich, dass sie auch sonst nicht ganz den dänischen Konventionen – gerne lässig, aber keineswegs auffällig – entspricht. Wilde blonde Haare, ein blauer Seidenschal, in der Hand trägt sie eine Blume für unseren Besprechungsraum. In Kopenhagen aufgewachsen, kam die Fotografin mit 21 nach Samsö, um einen Freund zu besuchen – und blieb. Erst verliebte sie sich in die Natur, kurze Zeit später in Sören Hermansen. Als fremdartiger Vogel sei sie anfangs wahrgenommen worden, erzählt Lundén, die keinerlei Erfahrung mit der praktischen Arbeit auf einem Bauernhof mitbrachte. Bis heute ist es ihre Aufgabe in der Akademie, die unkonventionellen Dinge zu denken.
Routiniert erzählt sie die Geschichte aus den Anfangstagen des Projekts. Ein Schlüssel für den Erfolg sei, dass eine kleine Gruppe von 15 Personen, unter ihnen den Bürgermeister und die wichtigsten Großbauern, hinter dem Plan stand. Ihrer Meinung nach hätten die Bauern früh erkannt, dass das Projekt Energie-Insel eine Chance für ein gutes Geschäft war, und ihm deshalb kaum Widerstand entgegengebracht. Dann bringe ich sie aber mit einer einfachen Frage aus dem Konzept: »Wie fühlt man sich, wenn man ein idealistisches Projekt verfolgt und alle machen nur des Geldes wegen mit?« »Eine gute Frage«, wiederholt sie mehrfach. »Wir diskutieren die Zukunft: Weitermachen mit dem nächsten Schritt der Transformation? Oder etwas ganz anderes tun? Auf jeden Fall fühle ich mich lebendig, aber auch respektiert und ausgeglichen.« So wirkt sie auch. Weder vom eigenen Erfolg korrumpiert noch desillusioniert. Mit dieser mentalen Stärke blickt sie auf die Schwächen des Projekts. Für Lundén steht fest: »Der nächste Schritt bedeutet Veränderung der Einstellung und des Verhaltens. Wenn dasgelingt, haben wir einen guten Grund, dass wieder viele Menschen zu uns kommen.«
Außerdem müsse intensiver darüber nachgedacht werden, wie Samsö die selbstproduzierte Elektrizität nutzen könne, anstatt sie zu exportieren. Gleichzeitig schmiedet Lundén an Plänen für eine echte Akademie, die Forschungs- und Fortbildungsstätte für den Führungsnachwuchs im Energiesektor sein soll. Samsö biete dafür beste Voraussetzungen, denn die Insel verführe zur Langsamkeit – nach Lundéns Meinung eine der Schlüsselqualifikationen für künftige Manager und Politiker. Ich muss an die in aller Eile durch das Gesetzgebungsverfahren geprügelte »Energiewende« denken und lächele. Überhaupt gebe es zu wenig Führungspersönlichkeiten, so Lundén. Die meisten Politiker, die Hermansen und sie auf ihren Reisen träfen, verbrächten zu viel Zeit mit Machterhaltung. Dabei geht es doch ums Tun, nichts ums Reden. »Das ist nicht in der Balance. Wo sind diejenigen, die praktische Maßnahmen ergreifen, um das Leben der Menschen zu verbessern?«
DER POLITIKER
Eine Siedlung mit kleinen dänischen Sommerhäusern. In einem Seitenweg steht ein großes weißes Haus, Solarzellen auf dem Dach, ein kleiner Kartoffelacker, Holzscheite für Jahre hinter dem Schuppen. Hier soll der konservative Kommunalpolitiker Per Urban Olsen leben? Seine Tochter Anna, sieben Jahre alt, begrüßt mich, zeigt mir die Katzen. Bis ihr Vater das Wohnzimmer betritt, im blauen Overall und mit erdverschmutzten Händen, dauert es einige Zeit.
Dass Olsen so wenig wie ein Politiker wirkt, liegt vielleicht daran, dass er keiner ist, jedenfalls nicht
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