Abgeschaltet
Rohöl herzustellen – oder alles Plastik würde aus unserer Welt verschwinden. Vermutlich führt der Weg allerdings nicht über Kohlendioxid-Recycling, sondern über die direkte Weiterverarbeitung von frischer Biomasse.
Egal, wo man Kohlendioxid aus Kraftwerksprozessen weiterverwenden will, wichtig ist, dass es in hoher Reinheit vorliegt. Denn die Folgeprozesse arbeiten in der Regel mit Katalysatoren, die ganz exakt auf die jeweilige chemische Reaktion abgestimmt sind. Fremdstoffe, auch scheinbar harmlose Gesellen wie Stickstoff, führen zu Verunreinigungen und langfristig sogar zur Zerstörung der Katalysatoren. Deshalb sieht Bazzanella als Lieferanten für das CO 2 -Recycling auch erst einmal nicht Kohlekraftwerke. Es ist wahrscheinlicher, dass der Rohstoff aus der chemischen Industrie selbst oder aus Zement- und Stahlwerken stammen wird, wo er in der Regel deutlich reiner vorliegt.
Letztlich kann es aber ohnehin nicht gelingen, das heute im Energiesektor entstehende Kohlendioxid komplett zu verwenden. »Es gibt kein chemisches Produkt, von dem die Menschheit Milliarden Tonnen braucht«, so Bazzanella. Weltweit werden derzeit etwa 200 Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt. Das scheint viel. Im Vergleich ist es dies aber nicht. 2010 emittierte die Menschheit laut Professor Gerhard Adrian, Präsident des Deutschen Wetterdienstes, etwa 31 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Könnte man 40 Prozent des gesamten Kunststoffs aus Kohlendioxid herstellen, würde man immerhin 40 Millionen Tonnen des Klimagases binden. So viel blasen zehn moderne Kohlekraftwerke in die Luft.
Einziger theoretischer Ausweg aus dem Mengendilemma: aus Kohlendioxid wieder flüssige kohlenwasserstoffhaltige Kraftstoffe zu machen. Das ist nicht schwer und funktioniert mit gängigen chemischen Verfahren. Allerdings benötigt man dafür sehr viel Energie, etwa zweieinhalb Mal so viel wie im Kraftstoff landet, wie Emitec-Geschäftsführer Wolfgang Maus vorgerechnet hat. Damit dabei nicht neues Kohlendioxid entsteht und die Bilanz für das Klima negativ wird, müssten wir in einer Energie-Überflussgesellschaft leben. Was so lange unwahrscheinlich bleibt, wie die Weltbevölkerung wächst und Milliarden Menschen nach mehr Wohlstand streben. Es sei denn, es gelingt, Sonnenenergie direkt für die CO 2 -Umwandlung zu nutzen, ein Ansatz, den beispielsweise Forscher an den Sandia National Laboratories in New Mexiko und an der Technischen Hochschule in Zürich verfolgen. Sie entwickeln Maschinen, die nur mit Hilfe von Sonnenlicht und eines Katalysators Erstaunliches tun: Ohne weitere Energiezufuhr entstehen Kohlenmonoxid aus Kohlendioxid und Wasserstoff aus Wasser. Aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff dann Benzin herzustellen, ist keine große Kunst.
Realistischer ist es wohl, nach anderen Kohlendioxidsenken zu suchen. Zum Beispiel Mikroorganismen, die sich ausschließlich von Kohlendioxid ernähren. Im Wiesbadener Kochbrunnen, schon zu Goethes Zeiten Lieferant heilenden Wassers, wurde mit »Azedianus ambivalens« ein solcher Kandidat gefunden. Auch etwas größere Organismen, Algen, könnten dafür herhalten. In einem Pilotprojekt in Niederaußem bei Köln werden sie bereits mit CO 2 gefüttert. Hat man erst einmal Biomasse so erzeugt, dann ist eine weitere energetische Nutzung auf jeden Fall kohlendioxidneutral, sofern nicht fossile Energien für den Transport und die Weiterverarbeitung eingesetzt werden. Am Ende einer solchen Kette ist das Klimagas natürlich trotzdem in der Luft, aber wenigstens nach zweimaligem Gebrauch.
Es sei denn, man macht aus der Biomasse nicht Methan oder Kraftstoff, sondern Kohle. Und verbrennt diese nicht, sondern pflügt sie unter die Erde. Wie bitte? Wenn ich bei einem launigen Abendessen unter Freunden von solchen Ideen erzähle, dann verdreht der eine oder andere schon die Augen. Aber: Das ist ein vollkommen ernst gemeinter Vorschlag der Max-Planck-Forscher Markus Antonietti und Gerd Gleixner. Sie schlagen vor, einen Teil derjährlichen natürlichen Biomasseproduktion von 60 Milliarden Tonnen (in getrocknetem Zustand) dauerhaft wegzuschließen und damit die Kohlendioxidemissionen zu kompensieren, die aus der Erdölnutzung stammen. Würde man nur 8,5 Prozent dieser neu gebildeten – nicht der bestehenden – Biomasse quasi aus der Welt schaffen, dann wäre sogar die heutige Erdölnutzung klimaneutral! Dazu muss verhindert werden, dass die Biomasse auf natürlichem Weg abgebaut wird, was technisch mit Hilfe der
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