Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
akkurat gestapelten Stämme direkt von den Xenon-Scheinwerfern erfasst wurden, gab es keinen Zweifel.
»Dahinten steigt Rauch auf«, bestätigte Herzfeld und hatte wegen des Gegenwinds einige Mühe seine Tür aufzudrücken. Eine starke Windböe presste mit aller Kraft dagegen und zerriss die graue Rauchfahne, die er eben noch über den Baumstämmen ausgemacht hatte.
Die Kälte, die in den Wagen strömte, bestätigte den Wetterbericht im Radio, der Temperaturen von minus zwölf Grad vorhergesagt hatte.
Herzfeld sprang vom Fahrersitz und versank knöcheltief im Schnee. Er schloss die Wagentür und stakste auf die Lichtung. Schon nach wenigen Metern konnte er die Quelle des Rauchs ausmachen: Dichter, betonfarbener Qualm quoll aus einem windschiefen Ofenrohr auf dem Dach eines Bauwagens für Waldarbeiter.
Unter seinen Füßen zerbrach ein vom Schnee bedeckter Ast, und Herzfeld hielt instinktiv inne. Er wollte gerade weitergehen, als es hinter ihm mit einem Mal heller wurde.
»Ich hab doch gesagt, Sie sollen im Wagen bleiben«, rief er und drehte sich um, doch dann verschlug es ihm die Sprache.
Die Beifahrertür war angelehnt, die Innenbeleuchtung des Porsches war an, weshalb Herzfeld auf den ersten Blick sehen konnte, dass der Sohn des Innensenators verschwunden war.
»Ingolf?«
Herzfelds Magen zog sich zusammen.
Er blickte abwechselnd zum Bauwagen und zum Porsche. Trotz des Rauchs auf der einen und des Deckenlichts auf der anderen schienen beide Fahrzeuge völlig verlassen.
Herzfeld wollte zurück zum Wagen laufen, doch dann besann er sich und ging zunächst einmal in die Knie.
Nichts.
Er hatte befürchtet, Ingolf neben dem Auto reglos am Boden liegen zu sehen, aber da war er auch nicht.
»Ingolf«, rief er erneut. Keine Antwort.
Was zum Teufel geht hier vor?
Vorsichtig schlich er sich zum Porsche zurück.
Er hatte die Motorhaube umrundet und war auf der Beifahrerseite angelangt, doch wider Erwarten wurde er weder angefallen noch überwältigt.
Und von dem Praktikanten fehlte weiterhin jede Spur.
»Ingolf?«
Die Lüftung des Geländewagens knackte, während Herzfeld sich der geschlossenen Hecktür näherte. Durch die getönten Scheiben hindurch konnte Herzfeld nichts als eine leere Rückbank erkennen.
Er griff nach dem Türgriff, ballte die Finger um den Hebel und riss mit einem lauten Schrei die Hintertür auf. Doch da war niemand, den er durch sein Gebrüll hätte erschrecken können. Keine Gefahr, die ihm ins Gesicht schlug.
Und auch kein Ingolf.
Der Innenraum des Cayenne war leer.
»Wo bist du?«, flüsterte Herzfeld in die Dunkelheit des Waldes, zu der er sich ratlos umgedreht hatte.
Jetzt, da das Licht aus dem Wagen ungehindert nach draußen fiel, erkannte er die tiefen Fußabdrücke im Schnee. Soweit Herzfeld es erkennen konnte, verlief ihre Spur vom Wagen aus geradewegs auf eine kleine Baumgruppe am Wegesrand zu, unter der sich auch eine ausgewachsene Eiche befand.
»Wo sind Sie?«, rief Herzfeld erneut und folgte den Spuren.
Was hat Ingolf vor? Wieso ist er wortlos im Wald verschwunden?
Je näher er der Baumgruppe kam, desto dunkler wurde es.
Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, auch die Rechtsmediziner beim BKA wären mit Dienstwaffen ausgerüstet.
Und er verfluchte sich, dass er nicht auf seine Instinkte gehört hatte. Er hatte von Anfang an geahnt, dass mit diesem Ingolf etwas nicht stimmte, selbst wenn er der Sohn des Innensenators war. Wer fuhr schon seinen Professor quer durch Deutschland, nur um den Praktikumsplatz zu retten?
Geschäftsidee? Schwachsinn.
Unsicher, ob er weiter nach Ingolf suchen oder besser zum Wagen zurückgehen sollte, blieb er stehen, etwa einen Meter von der Eiche entfernt.
Und jetzt?
Er sah zum Wagen, dann zu der Baumgruppe, hinter der sich die Spuren zu verlieren schienen, und als er den Blick nach unten richtete, bemerkte er es.
Verdammt.
Er hätte gleich darauf kommen müssen. Die Fußspuren, denen er gefolgt war. Im Schnee. Sie waren zu tief.
Viel tiefer als meine.
So als hätte Ingolf eine schwere Last getragen.
Oder …
Herzfeld begriff die Wahrheit in der Sekunde, in der der Schatten hinter dem Baum hervortrat.
Oder wenn jemand Ingolf aus dem Auto getragen hatte.
Bevor er erkannte, wer ihm den getränkten Lappen vor den Mund presste, hatte Herzfeld bereits das Bewusstsein verloren.
48. Kapitel
E r war wieder am See. Nur war es diesmal nicht Ingolf, sondern er selbst, der durch die Eisdecke gebrochen war und mit dem
Weitere Kostenlose Bücher