Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
bevor er sich direkt vor Herzfeld aufbaute.
Krank,
war das erste Wort, das dem Professor durch den Kopf schoss, als er seinen ehemaligen Kollegen zum ersten Mal seit langer Zeit wiedersah.
Er sieht krank aus.
Und das, obwohl der gelbstichige Schein der Baustellenlaterne wie ein Weichzeichner wirkte.
Großer Gott, Sven. Was ist nur aus dir geworden?
Martineks äußere Erscheinung war ein Spiegelbild seiner zertrümmerten Seele. Er war vollständig zerstört, sowohl psychisch als auch physisch. Seine Kleider schienen seit Wochen nicht mehr gewaschen worden zu sein und rochen nach Schweiß, Dreck und nassem Hund. Die Stiefel, von denen sich an den Spitzen bereits die Sohlen lösten, waren ebenso fleckig wie sein mit Bartstoppeln überzogenes Gesicht. Er hatte mindestens zehn Kilo abgenommen, weshalb alles, was er trug, viel zu groß wirkte. Die Haare waren ebenso lange nicht geschnitten worden wie seine Nägel;
Du zerfällst,
dachte Herzfeld und wusste nicht, was er zu dem Mann sagen sollte, der einst so penibel auf sein Äußeres geachtet hatte und nun von einem Penner kaum mehr zu unterscheiden war.
Martinek brach das Schweigen, nachdem er die Baulampe an einen Haken neben einem verhangenen Fenster rechts von Herzfeld an die Wand gehängt hatte.
»Na endlich.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen. Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr aufwachen.«
Er drehte sich um, ging zu einer unbequem wirkenden Sitzecke und öffnete eine Truhe unter der Bank.
»Aber ich bin froh, dass du bei mir bist«, sagte er, Herzfeld den Rücken zugekehrt, was dem Professor weitere Sekunden gab, in denen er versuchte, seine Handgelenke aus den Fesseln zu befreien.
Nachdem er sich wieder umgedreht hatte, hielt Martinek eine Wasserflasche in der Hand. »Das meine ich vollkommen ernst. Ich freue mich, dass du mich gefunden hast.« Der Klang seiner Stimme war so traurig wie der Blick seiner Augen.
Er trat nah an Herzfeld heran, in dem von einem Augenblick auf den anderen eine unbändige Wut aufloderte.
»Wo ist Hannah?«, fragte er mit einer Kraft, die er selbst nicht für möglich gehalten hatte, nachdem er sich immer noch halb betäubt fühlte. Es gab nur diese eine Frage. Alles andere interessierte ihn nicht. »Lebt sie noch?«
Martinek runzelte die Stirn. »Für wen hältst du mich?«, fragte er erschöpft. Er trank einen Schluck aus der Flasche und stellte sie auf dem Boden ab. Dann zog er aus den Tiefen seiner Jackentasche eine halbautomatische Pistole hervor.
»Glaubst du ernsthaft, ich habe mir so viel Mühe mit meinem Denkzettel gegeben, nur um dir am Ende Rede und Antwort zu stehen?«
Er tippte sich mit dem Lauf der Waffe gegen die Stirn, um ihm einen Vogel zu zeigen.
Herzfeld schloss für einen kurzen Moment die Augen und zwang sich, nicht zu brüllen. »Denkzettel? Du ermordest Menschen. Du spielst mit dem Leben meiner Tochter, Sven. Hannah ist krank. Sie stirbt, wenn sie zu lange ohne Medikamente ist.«
»Asthma, wissen wir.«.
»
Wir?
Mit wem arbeitest du zusammen?«
Sein ehemaliger Kollege verzog die Mundwinkel. »So läuft das nicht, Paul. Das hier ist nicht der Showdown, in dem der Killer aus purer Angeberei seine Motive erläutert, um dem Helden die Zeit zu geben, damit er sich befreien kann.«
Er hielt inne. »Aber eines kann ich dir ruhig verraten. Auf deinem Handy ist eine SMS eingegangen. Hatte ich dir nicht verboten, das BKA einzuweihen? Und dann ausgerechnet Leuthner? Ich dachte, ihr könnt euch nicht leiden! Er schreibt dir, die neuesten Wettermeldungen würden ein Orkanfenster vorhersehen. Früher als erwartet. Eine kurze Flaute, in der ein Zwanzig-Minuten-Flug nach Helgoland unter Umständen möglich wäre. Er hat einen Piloten organisiert, der auf einem Sportflughafen nahe Cuxhaven auf dich wartet und der, ich zitiere, ›krank genug wäre, das Risiko auf sich zu nehmen‹.«
Martinek lächelte zynisch. »Unser Kollege hat richtig recherchiert. Leider aber ist die Wetterbesserung nur von kurzer Dauer und tritt bereits in der nächsten halben Stunde ein, sie wird dir also nicht viel nutzen. Ich war daher so frei, den Flug mit einer Antwort- SMS dankend zu stornieren, bevor ich dein Telefon zerbrochen und die Überreste im Wald vergraben habe.«
Womit du nicht nur mein Handy, sondern auch meine einzige Chance zerstört hast, auf die Insel zu kommen.
»Du solltest dem Unwetter übrigens dankbar sein.«
»Wieso?«
»Helgoland liegt nicht in deinem
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