Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
sie zur Merseburg eilt und ihn zur Vernunft bringt.“
„Das werde ich tun. Ich verspreche es. Wir gehen nachher zusammen zur Kirche.“
„Zur Kirche … ah, da fällt mir ein, weshalb ich hereinkam.“
Otto erhob sich, trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Elblandschaft.
„Es wird Zeit, mit denen da drüben Frieden zu machen. Wir hatten sie schon unter unserem Dach, wir müssen sie wieder hereinholen. Dazu habe ich einen Plan. Ich glaube, es ist ein guter Plan. |238| Es wird ohne Blutvergießen gehen.“ Er wandte sich wieder der Königin zu. „Ich sah die Hevellerin – du weißt, wen ich meine – im Gefolge meiner Mutter. Sie wird gewiss in der Kirche sein. Bestelle sie für morgen hierher ins Palatium. Lass ihr sagen, du wolltest mit ihr über ihren Sohn reden, du hättest gehört, dass er in Fulda gute Fortschritte mache und so weiter. Ich benötige sie für meinen Plan, sie könnte sehr nützlich sein.“
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Der König saß in der kleinen Halle mit Hadalt, Anno und einigen Würdenträgern des Hofes, bei der Erörterung einiger Fragen des Münzrechts, das Otto dem Mauritius-Kloster in absehbarer Zeit übertragen wollte, als Gunzelin eintrat und ihm, sich seinem Ohr zuneigend, meldete, dass die Hevellerin da sei. Otto tauschte einen Blick mit dem Kämmerer, der als Einziger in diesem Kreise eingeweiht war, schloss die Beratung und entließ alle Teilnehmer. Erst als sich ihre Stimmen auf der Treppe und in den Gängen verloren, ließ Gunzelin die Stiftsdame eintreten.
Petrissa verneigte sich tief und auf den Wink des Königs trat sie befangen und zögernd näher. Otto sah sie aufmerksam an und ertappte sich bei der Feststellung, dass sie nicht weniger schön, wenn nicht noch schöner war als damals, vor zehn Jahren, als er sich in sie verliebt hatte. Die Zeit schien ihrem ovalen Gesicht mit der hohen Stirn, den großen dunklen Augen, den leicht aufgeworfenen Lippen und den blühenden Wangen nichts anhaben zu können. Sie musste ein Jahr älter sein als er, ebenso wie Edgith, achtundzwanzig Jahre. Aber Edgith war blass, ihre Augen lagen in bläulichen Höhlen, ihre Haut wurde schlaff und war schon von kleinen Runzeln durchzogen. Damals, als Petrissa schwanger wurde, war im Familienrat eine Zeit lang darüber gestritten worden, ob man Otto mit der Wendenprinzessin verheiraten sollte. Er selbst hätte nichts dagegen gehabt, doch seine Stimme hatte noch wenig Gewicht. Und es war auch schon bald davon die Rede, eine Gesandtschaft nach Winchester zum König der Angelsachsen zu schicken. Sein Vater erwog eine Weile, ob er mit einer Heirat den größeren Vorteil aus der Entspannung seiner Beziehungen zu den ostelbischen |239| Stämmen oder aus einer Aufwertung seines Königtums durch die Verbindung mit dem mächtigen Inselreich ziehen würde. Er entschied sich für das Letztere und niemand widersprach mehr.
„Du bist mir noch etwas schuldig“, sagte Otto, nachdem er die Stiftsdame aufgefordert hatte, sich auf der Bank am Tisch niederzulassen.
„Was sollte das sein, Herr?“, fragte sie und versuchte dabei zu lächeln.
„Damals hattest du mich gewarnt und versprochen, die Augen offen zu halten und dich um meinen Schutz zu sorgen. Ich geriet in Gefahr, aber der rettende Hinweis kam nicht von dir.“
„Ihr meint …“
„Es wollte mich einer vom Thron stoßen. Es war der, vor dem du mich gewarnt hattest.“
„Ich wusste nichts davon!“, beteuerte sie. „Sah keinen Anlass …“
„ … und wie hättest du mich auch verständigen sollen.“
„Dazu hätte ich einen Weg gefunden. Aber ich habe nichts bemerkt.“
„Nichts bemerkt?“
„Nein.“
„Er hat nicht geplaudert? Auch nicht, wenn ihr allein wart?“, fragte er misstrauisch.
„Wir waren nie allein.“
„Ihr wart nie miteinander allein?“
„Wir haben zwar … immer mal ein paar Worte gewechselt, auch heftige Worte … bei zufälligen Begegnungen …“
„Nichts weiter?“
„Nichts weiter. Das, was Ihr meint … das ist nicht geschehen.“
„Wirklich nicht?“
„Ich würde es schwören, bei Gott und allen Heiligen, wenn Ihr …“
„Ich dachte …“
„Ich weiß.“ Sie blickte auf ihre im Schoß gefalteten Hände. „Ihr gabt mir damals einen Rat. Ihr erwartetet etwas von mir. Und er versuchte es auch noch einmal. Nein, mehrmals sogar, immer wieder. Aber ich …“
„Aber du?“
„Ich konnte es nicht.“
Er seufzte. Es war kein Seufzer des Bedauerns, sondern eher der Erleichterung.
|240| Ein paar Atemzüge
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