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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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geheftet. Gunzelin reichte ihm die Lanzen.
    „Ja, Herr, ich habe ihm einen Streich gespielt, an den er sich erinnern wird! Steht er doch plötzlich mit ein paar anderen vor meinem Tor – alle zu Pferde, alle bewaffnet – und schreit: ‚Mach auf, Immo! Lass uns hinein! Gib uns Obdach!‘ Ich denke: ‚Obdach – bei mir? Das muss eine Finte sein! Wer weiß, was du anstellst, wenn du drinnen bist! Schlau bist du, Herzog, doch ich bin schlauer!‘ Hab nämlich eine schöne Bienenzucht, an die hundert Körbe … von denen nehme ich einige, schlage Löcher hinein, damit die Völkchen da drinnen so richtig böse werden und schmeiße sie von der Mauer auf Giselbert und die anderen. Ha! Was denkt Ihr, Herr? Die wütenden Bienchen stürzen sich gleich auf die Pferde … die Pferde buckeln und gehen hoch … und da wälzen die Kerle sich auch schon im Dreck und schlagen um sich, weil jeder einen Bienenschwarm abwehren muss. Zerstochen und mit Beulen bedeckt ziehen sie ab. Und ich lache mir eins und denke: Was der König kann, das kann ich auch … dir Schaden zufügen, Verfluchter! Jeder tut es auf seine Art.“
    Otto wollte gerade erneut zu einem Wurf ausholen, doch während der letzten Worte des feisten Grafen merkte er auf, ließ den Arm mit der Lanze sinken, sah Immo scharf an und fragte: „Wann ist denn das geschehen? Doch nicht etwa, als wir schon hier waren?“
    „Freilich wart Ihr schon hier, Herr“, antwortete der Dicke, treuherzig grinsend. „Gestern war es.“
    „Gestern? Da hielt der Herzog mit anderen Reitern vor deiner Burg? Verlangte Obdach?“
    „So war es. Deshalb bin ich ja hergekommen, das wollte ich melden.“
    „Kerl, warum sagst du das nicht gleich?“, schrie Otto.
    Graf Immo wich erschrocken zurück, weil der König dabei die Lanze hob, als wollte er ihn im nächsten Augenblick durchbohren.
    „Ist das wahr?“
    Otto warf die Waffe weg, folgte ihm, packte ihn am Arm und schüttelte ihn.
    „Ist das wirklich wahr? Er ist fort? Ist entkommen? Ist nicht mehr da oben?“
    „Wird wohl so sein …“
    |261| „Wie weit ist deine Burg von hier entfernt?“
    „Sechs Meilen.“
    „Warum hast du ihn nicht verfolgt?“
    „Ich wollte das ja“, stammelte Immo. „Aber bedenkt … die Bienchen … ganze Schwärme am Burgtor … sie hätten ja auch meine Pferde angegriffen …“
    „Er ist mir also entwischt. Zum Teufel, wie konnte das geschehen? Hat die Festung da oben einen geheimen Ausgang?“
    „Davon weiß ich nichts, Herr, ich …“
    „Vielleicht ist er durchgeschlüpft … nachts. Oder er war schon fort, als wir ankamen … wurde rechtzeitig gewarnt.“
    Otto ging, die Hände auf dem Rücken knetend, ein paarmal auf und ab. Die furchtsamen Blicke des Grafen folgten ihm.
    Der König blieb wieder vor ihm stehen.
    „Du sagst, es waren mehrere …“
    „Ja … Vielleicht neun oder zehn …“
    „War Prinz Heinrich dabei, mein Bruder?“
    „Oh … verzeiht, ich habe den Prinzen noch nie …“
    „Ein langer Blonder … mit einem steifen Arm …“
    „Könnte sein … Aber auf die anderen Männer hab ich nicht so genau …“
    „Hast du wenigstens darauf geachtet, wohin sie sich wandten?“
    „Oh ja … wir sahen sie noch vom Turm aus. Sie fingen die Pferde ein und dann … dann zogen sie am Ufer der Maas entlang.“
    „In welche Richtung?“
    „Nach Süden. Namur, Mouzon, Verdun …“
     
    Ohne Zögern entschloss sich der König, die Belagerung von Chèvremont aufzugeben. Er ließ die ausgeschwärmten Haufen von ihrem Zerstörungswerk zurückrufen und den Aufbruch vorbereiten. Seine Absicht, an diesem Tag noch einige Meilen zurückzulegen, wurde allerdings durch ein Gewitter vereitelt. Er wollte es seinen Kriegern und auch sich selbst nicht zumuten, Donars Zorn unnötig herauszufordern. Nach wie vor war der alte Germanengott bei vielen geachtet und gefürchtet und es konnte wohl sein, dass er den Übertritt seines Sachsenvolkes zur Gefolgschaft des Jesus Christus immer noch übel nahm. So war es besser, nicht allzu auffällig in sein Blickfeld zu geraten, wenn er Blitze schleuderte, grollte und polterte.
    |262| Der nachfolgende heftige Regen löschte im weiten Umkreis die letzten Flammen. Otto hockte missmutig in seinem Zelt, starrte hinaus auf die graue Regenwand und ließ sich von Gunzelin die Haare stutzen. Den Bart, den er fast bis zum Gürtel wachsen ließ, kürzte er selbst um zwei Fingerbreiten, während ihm der Leibwächter den Kupferspiegel vorhielt. Sie sprachen kaum

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