Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
miteinander, gegen seine Gewohnheit war der König wortkarg. Zu groß war sein Ärger über das fehlgeschlagene Unternehmen.
Gleich neben dem Zelt erhoben sich plötzlich streitende Stimmen. Gunzelin stürzte hinaus, um nachzusehen. Dabei bemerkte er nicht, wie im selben Augenblick ein Männchen, zwei Köpfe kleiner als er, mit forschem Schritt an ihm vorbei ins Zelt trat.
Otto stieß einen Schrei aus.
Der Leibwächter machte kehrt und blieb wie erstarrt am Zelteingang stehen.
Der König und der Eindringling lagen sich in den Armen: zwei Männer von mäßiger Körperhöhe, der eine breit und robust, der andere rank und sehnig. Die beiden lachten und küssten sich.
Der unerwartete Besucher war Konrad, Kurzbold genannt, der Graf vom Niederlahngau.
Für Otto, neben Gero und Hermann Billung, einer der Treuesten und Zuverlässigsten, hatte auch er die Erlaubnis, ohne Anmeldung ins Zelt des Königs zu treten. Bei den Feldzügen des Vorjahrs war er mit seinem Aufgebot immer beim Reichsheer gewesen. Die Teilnahme seines Vetters Eberhard, des Frankenherzogs, am Aufstand Thankmars hatte er scharf verurteilt. Der kleine, schon über fünfzigjährige Franke mit dem wettergebräunten, von Runzeln übersäten Jungengesicht gehörte wie die beiden Sachsenführer zu den wenigen Männern, mit denen Otto, der sonst immer auf Abstand und Rangunterschied Bedachte, ein fast freundschaftliches Verhältnis pflegte. Das war keine
amicitia
, die zeremoniell beschworen werden musste, denn dazu stand Konrad Kurzbold auch als Vasall eines Vasallen zu tief unter dem König. Es war eine nur auf Vertrauen, Zuneigung und gegenseitiger Achtung beruhende Nähe. Otto kannte den Konradiner, der schon am Hof seines Vaters hoch geschätzt war, seit frühester Kindheit und bewunderte ihn nicht zuletzt der außerordentlichen Kaltblütigkeit und Tapferkeit wegen, die er bei Feldzügen König Heinrichs bewiesen hatte. Kurzbolds Ruhm wurde schon von Sängern verbreitet.
|263| Er war mit nur wenigen Begleitern gekommen und hatte einen mehrtägigen Gewaltritt hinter sich. Nicht einmal das Gewitter hatte ihn auf dem letzten Stück Weges aufhalten können. Nachdem er einen Becher Bier hinuntergestürzt hatte, begann er seinen Bericht. Auch ihm war unter vier Augen mit dem König ein vertraulicher Ton gestattet.
„Odda“, sagte er, „es ist Zeit, du musst handeln! Vor drei Wochen erhielten Udo und ich Botschaft vom Herzog der Franken, unserem Vetter Eberhard: Sammeln bei Breisach! Udo sagte gleich: ‚Ohne mich! Dem Schuldigen am Tod meines Sohnes Heeresfolge leisten? Niemals! Und wofür rüstet er eigentlich? Gegen wen? Will er auch den zweiten Treueid brechen, den er dem König leistete?‘“
„Ich wusste es“, murmelte Otto. „Seine
deditio
war nur ein Possenspiel.“
„So ist es. Ich wollte es aber nicht glauben und mir erst einmal Gewissheit verschaffen. So folgte ich seinem Aufruf, nahm aber nur wenige Leute mit. Und was fand ich vor? Die Festung Breisach, die Rheinwiesen – ein einziges Heerlager! Er selbst empfing mich mit Rechtfertigungen. Am Tode von Udos Sohn Gebhard sei er unschuldig, mit Tammo habe er nur gemeinsame Sache gemacht, um uns, den Konradinern den Thron zurückzugewinnen. ‚Dieses Ziel‘, sagte er,,verfolge ich weiter und dazu ist jedes Mittel recht!‘ Ich fragte: ‚Auch ein zum zweiten Mal gebrochener Eid, nachdem der König dich milde behandelt und noch einmal begnadigt hatte?‘ ,Auch das‘, erwiderte er, ‚das verantworte ich vor Gott im Himmel, beim Jüngsten Gericht!‘“
„Möchte wissen, was ihm dann dazu einfallen wird“, knurrte Otto.
„Er ist der Meinung, dass du es bist, der sich nicht an die Regeln hält, die vor deiner Krönung mit den Herzögen vereinbart wurden. ‚Was wir mit Heinrich ausgemacht hatten‘, sagte er, ‚galt auch für Otto. Huldigung – ja, aber auch Freundschaft und Gleichbehandlung. Unter dieser Voraussetzung wurde er in Aachen gewählt. Doch er hält sich nicht daran, regiert mit schnöder Willkür, über unsere Köpfe hinweg. Maßt sich sogar Befehlsgewalt und Gerichtshoheit über unsere Vasallen an. Das stört das Gleichgewicht im Reich und schafft Unfrieden. Deshalb kann es nicht länger geduldet werden.‘ So sprach er. Ich hielt natürlich dagegen. ‚Unfrieden‘, sagte ich, ‚gibt es eher, wenn mehrere nebeneinander herrschen, es muss |264| eine oberste Autorität sein.‘ Aber er ließ sich nicht überzeugen und sagte: ‚Die Waffen werden beantworten, wer im Recht
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