Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
die plötzlich im Morgengrauen angerückt waren und Brände über die Mauer geschleudert hatten. Da alles hinter dem Wall und dem Zaun aus Holz gebaut war und ein kräftiger Wind wehte, hätten die Hähne nicht einmal Zeit gehabt, ihren Morgenruf auszustoßen, so schnell sei alles aufgeflammt und niedergebrannt. Er habe mit Wenigen einen Ausfall gemacht, aber hoffnungslos in der Minderzahl, und während er noch kämpfte, hätten die fränkischen Mordbuben in seinem Rücken bereits alles niedergemacht, was sich verstecken oder flüchten wollte.
„Und was hattest du ihnen vorher getan“, fragte Otto, „dass sie sich so fürchterlich rächten? Hattest du Streit mit Herzog Eberhard?“
„Abgaben wollte er einziehen. Männer sollte ich für sein Aufgebot stellen. Brauchte ich die nicht selbst? Und was hat er mir schon zu befehlen! Herzog ist er für die Franken, wir aber leben im sächsischen |53| Hessengau, wo schon unsere Väter und Vorväter saßen. Bin ich Sachse oder Franke? Wer ist mein Lehnsherr – er oder Ihr? Erklärt es mir, König!“
Otto wich dem Antwort fordernden Blick aus. Er entließ Bruning mit dem Versprechen, er werde die Angelegenheit untersuchen und alle Schuldigen bestrafen.
Eine Weile ging der König, die Hände auf dem Rücken verschränkt, in der kleinen Halle im Obergeschoss des Palatiums auf und ab, den Kopf gesenkt, den Blick nach innen gerichtet auf die neue bedrohliche Lage, die sich aus dem Zwischenfall im sächsisch-fränkischen Grenzgebiet ergeben konnte. Dabei murmelte er vor sich hin, stieß Flüche und halbe Sätze aus, die für Zuhörer keinen Sinn ergaben. Diener und Mägde, die, kommend und gehend, die Tafel für das abendliche Mahl vorbereiteten, achteten kaum darauf, sie kannten die Gewohnheit des Königs, Gespräche mit sich selbst zu führen. Schließlich stürmte sein kleiner Sohn, der siebenjährige Liudolf, herein und zeigte ihm mit strahlender Miene ein Spielzeug, einen geschnitzten Reiter mit Helm und Schild, ein Geschenk des guten Onkels Eberhard. Dieser habe auch Liutgard, seiner Schwester, ein Püppchen geschenkt, dem die Mutter gerade das Kleid mit Blumen besticke. Liudolf ergriff die Hand des Vaters und zog ihn hinter sich her in die Gemächer der Königin.
Frau Edgith saß auf ihrem Lieblingsplatz unter dem großen Bogenfenster, ein Tuch um den Hals geschlungen, einen Fellumhang über den Schultern, mit einer Decke um die Knie und einem Kissen im Rücken. Sie war immer anfällig gegen Erkältungen, schon seit ihrer Kindheit im rauen Klima ihrer angelsächsischen Heimat. Obwohl es noch spätsommerlich warm war, musste sie sich gegen die Zugluft schützen, der man überall im Palatium ausgesetzt war. Sie hustete und ihre Nasenspitze war wie fast immer gerötet. Dennoch rückte sie nicht vom Fenster weg, wollte sie doch die Unterhaltung nicht missen, die ihr die Gesänge der Mönche und das in diesen Tagen vor der Reichsversammlung besonders lebhafte Treiben auf dem Fluss und am Ufer bot. Immer wieder warf sie einen Blick hinunter, während sie emsig mit Nadel und Faden hantierte. Die sechsjährige Liutgard stand neben ihr und verfolgte mit großen Augen, wie die kunstfertigen Finger der Mutter das einfache Leinenkleid der Puppe in eine prächtige Robe verwandelten.
|54| Otto setzte sich auf einen Hocker, tätschelte die blonden Köpfe der Kinder und sah ebenfalls zu, den Mund zu einem breiten Lächeln verzogen, das nichtsdestoweniger grimmig und angespannt wirkte.
„Geschenke von Herzog Eberhard?“, fragte er.
„Wie aufmerksam, dass er an die Kinder gedacht hat“, sagte Edgith. „Und die byzantinische Seide für mich … sie muss sehr teuer gewesen sein.“
„Wirst du dann auch so ein schönes Kleid haben?“, fragte die kleine Liutgard.
„Nein, mein Kind, so etwas steht mir nicht. Ich werde die Seide der Großmutter geben.“
„Das wird sie freuen“, sagte Otto. „Sie liebt solchen Aufputz. Je pompöser und greller, desto besser.“
Die Königin blickte ihn vorwurfsvoll an.
„Du solltest sie dafür nicht tadeln. Das ist nicht Putzsucht, sondern ihr Recht und die Pflicht, ihrer Stellung angemessen aufzutreten.“
„Die Königin bist du.“
„Ich bin nicht so schön wie sie und habe nicht eine so wundervolle, edle Gestalt. Dünn und schmal, wie ich bin, würde ein Gewand aus schwerer Seide an mir lächerlich wirken. Sie kann es tragen.“
„Anscheinend sind wir als Königspaar etwas missraten“, bemerkte Otto sarkastisch. „Von
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