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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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in seinen Zügen gelesen hatten. Auch Herzog Eberhard, der noch immer das Wort führte, verstummte verblüfft. Otto nahm nicht wieder Platz, sondern ging, vor sich hin pfeifend, zu seinem Spieltisch in der Ecke des Raums. Hier blieb er stehen und betrachtete die Stellung des Brettspiels.
    Der Herzog erhob sich und trat ebenfalls an den kleinen Tisch in der Ecke. Wie der König, war er als leidenschaftlicher Spieler bekannt, der alle Brettspiele kannte und mit vielen Tricks und Schlichen vertraut war. Mit dem Kämmerer Hadalt, seinem bevorzugten Gegenspieler, hatte Otto vor dem Mahl eine Partie des Belagerungsspiels begonnen, sie jedoch unterbrochen, als die Tischgäste eintrafen.
    „Eure Stellung ist schwierig“, sagte der Herzog. „Die Belagerer setzen Euch zu. Lange werdet Ihr Euch nicht mehr halten können.“
    „So, meint Ihr?“, erwiderte der König. „Zeigt es mir, übernehmt das Spiel. Ihr seid am Zuge.“
    „Hier stelle ich meine Steinschleuder auf.“
    „Sie wird nichts ausrichten. Ich verstärke die Mauer.“
    „Nun komme ich mit dem Widder.“
    „Dazu benötigt Ihr mehrere Züge und verliert Zeit. Schon habe ich einen Eurer Männer erwischt.“
    |61| Otto ergriff einen seiner roten Spielsteine, übersprang auf der vorgezeichneten Linie einen der blauen, nahm diesen vom Brett und stellte den roten auf seinen Platz zurück.
    „Ein geringer Verlust“, sagte der Herzog lächelnd. „Ihr lasst Euch ablenken, während ich von der anderen Seite meinen Belagerungsturm heranfahre.“
    Der König beugte sich über das Brett und betrachtete die Stellung aufmerksam. Inzwischen waren Hadalt, Gero, Hermann Billung und einige andere, die mit an der Tafel gesessen hatten, herangetreten.
    „Ihr gebt Euch viel Mühe und macht große Umstände, Herzog“, sagte Otto gedehnt. „Warum macht Ihr es Euch nicht einfacher? Warum werft Ihr nicht Brände?“
    „Brände sind in den Spielregeln nicht vorgesehen“, erwiderte Eberhard verwundert.
    „Nein? Keine Brände? Ihr kämpft also immer nur nach den Regeln?“
    „Man weiß“, erwiderte der Herzog selbstgefällig, „dass ich der beste Kenner der Regeln bin. Neben Euch, selbstverständlich.“
    „Und wenn Ihr die Burg erobert habt, was macht Ihr dann mit der Besatzung und den Leuten hier drinnen?“, fragte Otto, ohne den Blick vom Spielbrett zu heben.
    „Nun, ehe ich eindringen kann, muss ich sie doch geschlagen haben.“
    „Alle?“
    „Es sind ja nur zwei.“ Eberhard deutete, die offensichtliche Zerstreutheit des Königs belächelnd, auf die beiden roten Spielsteine, die im Belagerungsspiel die Verteidiger waren. Er suchte mit einem Blick die Zustimmung der umstehenden Männer, deren Mienen jedoch gespannt und verschlossen waren.
    „Nur zwei?“, sagte Otto. „Ich meine die anderen. Die übrigen dreißig, vierzig Leute …“
    „Wie?“
    „Die anderen Männer. Die Frauen, die Kinder, die Greise.“
    „Ich verstehe nicht …“
    „Ihr versteht nicht?“ Der König hob plötzlich den Kopf, blitzte den Herzog an und schrie: „Ihr versteht nicht?“
    Mit dem Handrücken fegte er alle Steine vom Brett.
    „Ihr habt sie erobert – die Burg Hellmern! Und dann? Und dann? Alles niedergebrannt! Die Männer ermordet! Die Frauen geschändet! |62| Die Kinder von der Mauer geworfen! War es nicht so, Herzog Eberhard? War es nicht so? Haltet Ihr Euch so an die Regeln?“
    Der erschrockene Herzog wich einen Schritt zurück. Doch nur einen kurzen Augenblick lang verlor er die Fassung. Auch die strengen Blicke der Sachsen, die ihn von allen Seiten trafen, schüchterten ihn nicht ein.
    „Mir scheint“, erwiderte er, „dass Ihr es seid, der sich nicht an die Regeln hält, König. Spielen wir oder sprechen wir über ernste Dinge?“
    Otto bereute schon seinen Zorn, der wie gewöhnlich aufflammte und rasch verrauchte. Dieser Ausbruch war nicht nötig gewesen. Er hatte sich fest vorgenommen, die Angelegenheit unaufgeregt zu regeln, ohne offenen Hader, den er nicht brauchen konnte. Es ärgerte ihn zudem, dass er sich selbst die gute Stimmung verdarb, in die ihn die gerade empfangene Botschaft versetzt hatte.
    Er ging einige Male auf und ab und sagte dann in versöhnlichem Ton: „Es spielt sich nicht gut, wenn man ernste Dinge im Kopf hat. Beschäftigen wir uns also mit diesen zuerst. Was im sächsischen Hessengau geschehen ist, muss gesühnt werden, Herzog, was immer Ihr zur Begründung vorbringen werdet.“
    „Ich war bei dem Vorfall nicht anwesend“, entgegnete

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