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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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ihr dazu? Sein Mütterchen Berta, die Schwäbin, schickt ihn mir, weil sie mich für vertrauenswürdiger als ihren Bräutigam hält, den König Hugo von Italien. Sie bringt ihn vor ihrem künftigen Gatten in Sicherheit. Das nenne ich Umsicht und Vorsorge. Braves Weib! Sie soll sich in mir nicht getäuscht haben. Ich behalte ihn hier und erziehe ihn mir zu einem zuverlässigen Vasallen. König Hugo wird das nicht passen, Herzog Eberhard auch nicht. Wunderbar! Mein Hoftag bekommt nun doch noch Glanz!“

9
    Gegen Mittag des vierten Tages nach ihrer Ankunft in der Pfalz Werla näherte sich die Prozession der Pfalz Magdeburg. König Otto ging ihr zu Fuß zwei Meilen entgegen, begleitet von seiner Frau Edgith, seiner Mutter Mathilde und zahlreichen Würdenträgern. Vorangetragen wurde dem entgegenkommenden Zug ein Kreuz, |65| dann folgten die Träger, zwei Mönche, mit den heiligen Resten. Eine unübersehbare Menge schloss sich an. Otto ließ halten und kniete nieder. Alle, die mit ihm kamen, folgten seinem Beispiel.
    Auf dem bemalten hölzernen Schrein, zu dem er, ein Gebet murmelnd, aufblickte, waren mit groben Pinselstrichen mehrere Männer in römischer Kriegsrüstung abgebildet. Es waren nach den beigefügten Namenszügen die heiligen Märtyrer Mauritius, Candidus, Excuperius, Innocentius und Vitalis, alle Hauptleute jener im oberägyptischen Theben ausgehobenen Legion, die für ihren Glauben in den Tod gegangen waren. Was von einem dieser fünf, Innocentius, übrig war, lag in dem Schrein. Es war ein feierlicher Augenblick, dennoch regte sich in Otto wieder der Ärger darüber, dass er nicht den anderen, den Wichtigsten, den künftigen Patron seines Klosters erhalten hatte. Ihn hatte Otto für sein Mauritius-Kloster erbeten, doch König Rudolf hatte ihn trotz inständiger Bitten der Gesandten nicht hergeben wollen. Zu wichtig war ihm der Schutz seines kleinen Reiches gewesen, als dass er auf einen so mächtigen Fürsprecher am Throne Gottes verzichten wollte. In den irdischen Resten der Heiligen, jener aufgrund ihrer überragenden Verdienste vorzeitig Auferstandenen, steckte ja noch immer die magische Kraft der auch nach dem Tode mit dem Leib verbundenen Seele. Solche
corpora
zu erwerben – und zwar möglichst viele, denn so wurde ihre Wirkung vervielfältigt – war den Herrschenden überaus wichtig, schützten sie doch nach ihrem Glauben vor irdischen Ungelegenheiten und garantierten Beistand beim Jüngsten Gericht. Ein Kind seiner Zeit, von Feinden umlauert, von Gefahren bedroht, war auch Otto fest davon überzeugt, solchen Beistands bedürftig zu sein. Seine germanischen Vorfahren hatten die Ahnen verehrt und ihrer Hilfe vertraut – jetzt gab es neue, noch mächtigere Ahnen, die Ahnen der ganzen Menschheit, die christlichen, die Heiligen. Man brauchte sie, in ihrer Gesellschaft konnte man sich sicherer fühlen.
    Otto stand auf, verbeugte sich tief und küsste den Schrein an der Stelle, wo die nach außen stehenden Füße des heiligen Innozenz, die in Soldatenstiefeln steckten, aufgemalt waren. Er hob den Blick zum bärtigen Antlitz des Märtyrers – und da bemerkte er hinter dem Schrein ein lebendiges Gesicht, jung, schmal, mit großen, dunklen Augen und geschwungenen Brauen. Ein metallener Reif, mit Juwelen bestückt, über dem sich schwarze Locken ringelten, |66| umspannte eine hohe, vorgewölbte Stirn. Bartflaum spross über der weichen Oberlippe. Es war ein Jüngling, den Otto nicht kannte, doch weil er, flankiert von reich gekleideten würdigen Herren, gleich hinter dem Schrein des Heiligen stand, war ihm im nächsten Augenblick klar, wen er vor sich hatte: einen, der ihm im Range gleichgestellt war. Es war der andere, den er erwartete – Konrad, der junge König von Hochburgund.
    Später, während der Messe zum Empfang der Reliquie, hielt er ihn an seiner Seite und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Es gefiel ihm, dass der junge König das Ritual kannte, die Gebete mitsprach und in die Gesänge einstimmte. Frömmigkeit machte gehorsam und lenkbar. Der Junge schien sanft und sehr schüchtern zu sein, auch das gefiel Otto, so würde er nicht ständig auf seine hohe Stellung verweisen und aufbegehren. Denn Otto blieb bei seinem festen Entschluss, ihn vorerst nicht wieder fortzulassen. Als sie hinter dem Heiligenschrein der Stadt entgegen gezogen waren, hatte er ihm schon einen Gefährten beigegeben, der wie kein anderer geeignet sein würde, auf den Vierzehnjährigen Einfluss auszuüben. Er

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