Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
beglückwünschte sich jetzt, dass er Botschaft nach Utrecht gesandt hatte mit dem Befehl, seinen jüngsten Bruder zum Hoftag nach Magdeburg zu schicken. Brun war erst zwölf Jahre alt, doch ungewöhnlich ernst und abgeklärt für sein Alter, ein kleiner Gelehrter, dem sein Mentor, Bischof Balderich, der ihn auf der Reise begleitete, gerade wieder ganz ungewöhnliche Fortschritte bei seinen Studien bescheinigt hatte. Otto hatte zufrieden beobachtet, dass sich die Knaben, beide schmalschultrig und hoch aufgeschossen, der König im seidenen Mäntelchen, der Prinz in der groben Kutte des Domschülers, unterwegs schon ein wenig angefreundet hatten.
Während der Messe in der kleinen Pfalzkirche, die nur die hundert wichtigsten Personen fasste, befand sich Otto in gehobener, feierlicher Stimmung. Kurz blitzte der Gedanke auf, dass ihm der kleine König eines Tages auch den wichtigsten Heiligen, den Mauritius, verschaffen würde. Ungetrübt war jetzt seine Freude über den Erwerb des Innocentius und die gelungene Translation. Stolz war er auf den Schrein, der im Kerzenlicht auf dem Altar stand, umwölkt von Weihrauch, umbraust vom frommen Wohllaut aus Mönchskehlen. Zur Weihe des Klosters in wenigen Tagen würde der Heilige in seinem neuen goldenen Reliquiar ruhen. Ein Soldatenheiliger war es, so einer, der zu seinen Lebzeiten sicher ein rauer |67| Kerl war, einer, wie Otto ihn brauchte, um denen jenseits der Elbe die frohe Botschaft zu bringen.
Zwei kurze Zwischenfälle störten die feierliche Handlung. In einer Ecke des Chors, wo die Königinmutter Mathilde mit ihren Stiftsdamen kniete, ging hinter ihnen plötzlich die Tür zur Sakristei auf und eine der Damen schlüpfte herein. Gleich warf sie sich hinter den anderen nieder, doch man sah noch ihr nacktes Bein blinken, über dem sie ihr zerrissenes Chorhemd zusammenraffte. Die Königinmutter drehte sich um, zischte sie an und richtete mit raschen Bewegungen den über der Haube unordentlich zurückgeworfenen Schleier. Die junge Frau schluchzte laut auf und bekreuzigte sich mehrmals. Otto sah zweimal hin, doch er täuschte sich nicht: Es war Petrissa.
Etwas später gab es auf der anderen Seite Bewegung an der Kirchentür. Dort erschien Heinrich und drängte zwischen den eng beieinander Stehenden herein. Die Jagdkappe tief ins Gesicht gezogen, arbeitete er sich mit Fäusten und Ellbogen vorwärts. Einem Geistlichen trat er grob auf den Fuß, der Getretene stieß einen Schmerzensschrei aus. Da lachte er auf, offenbar war er betrunken.
„Sieh doch nur“, flüsterte Edgith. „Er blutet, er ist verletzt!“
Tatsächlich sickerte unter Heinrichs Kappe ein schmaler Blutbach zwischen den Augen herab und lief die Nase herunter.
Otto sah sich kurz um und knurrte: „Verdammter Herumtreiber! Was hat er jetzt wieder angestellt?“
Nach der Messe betrat der König ein langgestrecktes, niedriges Haus mit Schilfdach, das früher ein Pferdestall war und in dem jetzt vorübergehend das Skriptorium des neuen Klosters untergebracht war. Seit seiner Krönung hatte es schon als Kanzlei gedient, wenn er nach Magdeburg kam. Es war nicht gerade ein Raum, in dem er sich wohl fühlte und sich länger als nötig aufhielt. Er konnte ja weder lesen noch schreiben, hatte es nie gelernt – so wie auch sein Vater Heinrich, der es für Zeitverschwendung gehalten hatte, seinen zum Nachfolger bestimmten Sohn in Fertigkeiten unterweisen zu lassen, für die es dienende Personen gab. Zwar sah Otto ein, dass bestimmte Rechtsangelegenheiten der schriftlichen Beglaubigung bedurften, doch hielt er es für völlig ausreichend, dafür einen einzigen Mann zu beschäftigen, seinen
cancellarius
Poppo, dem im Bedarfsfall ein paar Notare zur Seite standen. Auch |68| jetzt war Poppo wie meistens der Einzige, der sich beim Licht zweier Kerzen über eines der wenigen in dem düsteren Raum verteilten Pulte beugte. Der König hatte ihm erlaubt, der Messe fern zu bleiben, damit er mit der Gründungsurkunde des Klosters vorankam. Diese wichtige Angelegenheit war es auch, die Otto derzeit veranlasste, gegen seine Gewohnheit seinen Kanzler mehrmals am Tage aufzusuchen. Poppo, ein feister Graubart, ein Franke aus der Familie der Babenberger und entfernt mit den Liudolfingern verwandt, blickte jedes Mal, wenn er eintrat, kurzsichtig blinzelnd auf und verzog ganz ohne Verstellung unwirsch das Gesicht, sobald er den König erkannte. Er wusste schon, dass dem nun wieder etwas eingefallen war, was er dem Text hinzufügen
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