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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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musste. Rechthaberischer Protest, den er sich manchmal leistete, nützte gewöhnlich nichts. Und dann war alles noch einmal zu schreiben, Verbesserungen und Hinzufügungen verschmähte er. Es war Poppos Überzeugung, dass nur ein kalligraphisches Meisterwerk auch ein bedeutsames Dokument sein könne.
    Er war allerdings nicht allein im Skriptorium. Es gab zwei Zuschauer, die hinter ihm standen und ihm über die Schulter blickten. Konrad und Brun waren es, die beiden neuen Freunde. Miteinander flüsternd verfolgten sie jede Bewegung der Hand des Kanzlers, die mit der Feder schnurgerade Zeilen der schlanken Minuskel auf das Pergament zauberte. Poppo gefiel die Aufmerksamkeit der beiden – eines Königs und eines Prinzen – und er wandte seine ganze Kunstfertigkeit auf, bei den kühnen Zierstrichen des g, p, q, r und s, bei den geschwungenen Unterlängen des m und n, bei den Zierschleifen des c und t und den schmucken Ligaturen. Er verzog nicht einmal das Gesicht, als er Otto eintreten sah. So eifrig war er bei der Sache, dass er kaum aufblickte.
    Otto trat näher und stellte sich hinter dem breiten, fetten Rücken des Poppo zu den beiden Knaben. Er hörte Brun dem jungen Burgunderkönig den lateinischen Text ins Romanische übersetzen, die Sprache der Rechtsrheinischen. Obwohl er sich selbst fast nur seines sächsischen Idioms bediente, verstand er das Romanische gut.
    „Sprich lauter, Brüderchen“, sagte er. „Fang noch einmal von vorn an. Ich will hören, ob alles richtig ist, was dort steht.“
    „Wort für Wort, wie Ihr es befohlen habt!“, brummte Poppo ärgerlich, ohne im Schreiben innezuhalten. Immer wieder hatte er selbst dem König, der nur ein paar Brocken des Lateinischen |69| kannte, den Text übersetzt. Indessen zögerte der Zwölfjährige nicht, der Aufforderung zu folgen. Er war stolz, seinem älteren Bruder beweisen zu können, was er gelernt hatte.
    Das Vorhaben wollte jedoch nicht recht glücken. Poppo, der wiederum das Romanische nur unvollkommen beherrschte, spitzte misstrauisch die Ohren und ließ sich kein Wort des Knaben entgehen. Das Eingangsprotokoll mit der
invocatio
, der Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit, und der
intitulatio
, der Vorstellung des ausstellenden Herrschers, bereitete keine Schwierigkeiten. Doch schon im erzählenden Abschnitt des Kontextes, in dem die Gründe aufgeführt waren, die den König veranlassten, in seiner Pfalz Magdeburg ein Kloster zu gründen, gab es Missverständnisse. Der König vermisste ein Wort, das er eingefügt wünschte, Poppo raunzte, das Wort stehe da, Brun bemängelte naseweis das holprige Latein der ganzen
narratio
. Nur der junge Burgunder blieb stumm und blickte betroffen von einem zum anderen.
    „Wenn Euer Bruder so schlau ist und schon jetzt alles besser weiß“, knurrte Poppo, wobei er, als sei das ganze Gerede eher unwichtig, unverwandt mit dem Schreiben fortfuhr, „dann ernennt doch ihn zu Euerm Kanzler!“
    „Ihr müsst zugeben, mein Bruder und König“, sagte der Zwölfjährige ebenso respektvoll wie selbstbewusst, wobei er mit dem Finger auf eine der Schriftzeilen deutete, „es würde klarer, wenn man hier sagte …“
    „Nun, was denn? Was denn?“, fuhr Poppo dazwischen. „Die Stelle haben wir schon dreimal geändert. Viermal!“
    „Lest selbst!“, forderte Brun den König auf. „Ab hier! Es wird nicht ganz deutlich, was gemeint ist. Sagt mir, ob ich Recht habe!“
    Der dünne Zeigefinger des Knaben wies unerbittlich auf dieselbe Stelle.
    Otto starrte dorthin, fasste nach seinem Bart und zauste ihn.
    „Du meinst, ich sollte …“
    „Lest, Bruder!“
    Otto beugte sich über das Pergament.
    „Es ist zu dunkel …“
    „Oh, dem helfen wir ab!“, sagte Poppo giftig, ergriff einen der Kerzenleuchter und näherte ihn der von Brun bezeichneten Stelle. „Steht es dort nicht genauso geschrieben, Herr, wie Ihr es mir diktiert habt?“
    |70| Otto starrte noch immer auf die Buchstaben. Mit ihren langen Hälsen, zierlichen Schleifen und flatternden Fähnchen kamen sie ihm so hochmütig und geckenhaft vor, als wollten sie sagen: Was willst du von uns, dummer König? Was starrst du uns an? Du willst doch nicht etwa unser Geheimnis ergründen?
    Er fühlte eine Welle der Wut in sich aufsteigen.
    „So steht es dort!“, stieß er rau hervor und warf seinem kleinen Bruder einen seiner gefürchteten Blicke zu. „Was erlaubst du dir? So und nicht anders soll es dort stehen!“
    „Das will ich meinen“, sagte Poppo

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