Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
zufrieden.
„Dann verzeiht mir“, stammelte der erschrockene Knabe. „Ich wollte nur … Oh!“, unterbrach er sich mit einem Blick auf das Pergament. „Jetzt habt Ihr Euch aber verschrieben, Herr Poppo!“
„Wie? Was?“
„Hier, bei der Rekognition:,advicem‘, nicht ‚abvicem‘!“
„Zum Teufel! Dabei bin ich fast fertig!“ Poppo beleckte einen seiner dicken Finger und wischte geschickt das noch feuchte „b“ aus dem Wort. „Zank und Unruhe! Dabei soll man nun eine Urkunde herstellen, die für die Ewigkeit geschaffen ist!“
Er tunkte die Feder so heftig ins Tintenfass, dass er es umstieß.
„Ha!“
Der schwarze Gallussaft ergoss sich, Zeile um Zeile vernichtend, über das Pergament.
Poppo ließ die Feder fallen und griff sich ans Herz. Der fette Mann stöhnte und stützte sich schwer auf sein Pult. Tränen traten ihm in die Augen.
„Das war nicht recht von dir, Brun!“, ließ sich der sanfte junge Burgunderkönig vernehmen. „Ein b oder d … was kommt es schon darauf an!“
„So, glaubst du?“, erwiderte der Knabe ernsthaft. „Wenn du dein Reich später so regierst, wirst du es bald verlieren!“
Otto half seinem Kanzler, sich wieder aufzurichten. Dessen Missgeschick hatte sein eigenes gemindert und seinem Zorn die Spitze abgebrochen. Als er die Tinte über das Blatt laufen sah, fühlte er sich plötzlich erheitert und konnte das Lachen kaum zurückhalten.
„Soll ich das da den Mönchen am Gründungstag überreichen? Du hattest Recht, mein Freund, diese Arbeit ist nichts für dich und dein Vorschlag gefällt mir. Ich werde meinen Bruder zum Kanzler ernennen.“
|71| „Den da?“, keuchte der Dicke. „Das Knäblein?“
„Warum nicht? Du siehst doch, er ist klug und gewissenhaft. Nun, ein, zwei Jahre will ich damit noch warten, er muss auch erst seine Studien beenden. Vorerst behältst du die Stellung.“
„Und was habt Ihr dann mit mir vor?“
„Selbstverständlich mache ich dich für deine Verdienste zum Bischof. Im Augenblick ist aber nichts frei. Wir müssen warten, bis einer zum Himmel auffährt.“
„Das ist Euer Ernst?“, fragte Poppo, der sich sogleich erholte.
„Gott hört mir zu und wird mich beizeiten daran erinnern. Aber nun wollen wir dich nicht mehr stören, du hast viel zu tun. Kommt!“
Er winkte den Knaben, ihm zu folgen und ging hinaus.
Die Königin erwartete ihn im Palatium, an ihrem Lieblingsplatz am Fenster zur Elbe. Sie war allein. Er kniete vor ihr nieder und berührte mit seiner Stirn ihr Knie.
„Wollte ich immer nur auf dich hören, Teure“, sagte er aufblickend. „Wie viel Kummer bliebe mir dann erspart. Ich machte mich eben beinahe lächerlich vor meinem kleinen Bruder. Anscheinend glaubt er, ich hätte Bildung genossen, verstünde Latein. Ich stand da wie ein Ochse und konnte nur brüllen. Schande! Wie oft hast du mich gemahnt, endlich Lesen und Schreiben zu lernen. Seit Jahren, seit wir verheiratet sind! Gleich nach dem Hoftag fange ich an … heimlich, es muss ja nicht jeder wissen … du wirst mir helfen …“
Edgith beugte sich vor, küsste ihn und bat ihn, sich zu erheben.
„Es ist gut, dass du gekommen bist, Odda“, sagte sie. „Ich wollte dich schon herbitten lassen. Es möchte dich jemand dringend sprechen, ich ließ sie heraufkommen.“
„Sie?“
Die Königin ergriff einen winzigen Schlägel und klopfte auf einen Silberteller. Der Türvorhang wurde gerafft, eine der Zofen erschien und trat zur Seite, um Platz zu machen. Ihr folgte, den Blick gesenkt, eine Frau in einem weiten, braunen, nur mit zwei Fibeln auf der Brust geschlossenen Mantel, den sie zudem mit den Händen zusammen hielt, weil sie darunter anscheinend nicht einmal ein Hemd trug. Ihr offenes schwarzes Haar fiel nach vorn über Stirn und Wangen. Sie blieb stehen, verneigte sich, warf die Strähnen mit einer Kopfbewegung zurück und blickte auf.
|72| Ottos Miene blieb reglos. Nur ein Zucken der Mundwinkel verriet seine Überraschung.
„Petrissa?“
10
Die Königin gab der Kammerfrau ein Zeichen, damit sie der schönen Hevellerin einen Hocker zuschob und sich zurückzog.
„Vorhin in der Kirche stieß ihr ein Missgeschick zu“, erklärte Edgith mit freundlicher Unbefangenheit dem König. „Sie hatte das Unglück, an einem Nagel hängen zu bleiben und zerriss ihr Gewand. Ich bat deine Mutter zu erlauben, dass meine Frauen das in Ordnung bringen. Sie sind im Augenblick noch eifrig beim Nähen. So setz dich doch, meine Liebe. Ich weiß ja
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