Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
inzwischen, dass du ein Anliegen hast, du hast es mir anvertraut. Sprich! Der König wird dir wohlwollend zuhören.“
Petrissa ließ sich auf dem Hocker nieder, ordnete mit unsteten Bewegungen den weiten Mantel, damit er alles vom Halse bis zu den Füßen züchtig bedeckte, und senkte wieder den Kopf, um nach Worten zu suchen. Otto warf Edgith einen strengen Blick zu. Er fand es unpassend, eine Bittstellerin, auch und gerade weil es eine mit einer besonderen, ihn selbst betreffenden Vergangenheit war, in den Räumen der Königin zu empfangen. Edgith, die neben der rotwangigen, vollbusigen wendischen Fürstentochter trotz des noch nicht abgelegten Festschmucks blass und fast unscheinbar wirkte, entschuldigte sich mit einem Lächeln.
Otto hörte mit hölzerner Miene zu, als Petrissa stockend zu sprechen begann.
„Es wird Euch bekannt sein, Herr, dass damals, als Euer Vater, der Herr König Heinrich … als er die Menschen aus der Brandenburg … uns Heveller … als er uns einlud, ihm hierher zu folgen …“
„Als wir euch fortschleppten“, warf Otto ein. „Bleib bei der Wahrheit, sie schadet dir nicht.“
„Ja, ja“, sagte Petrissa verwirrt, „die Wahrheit … ich will Euch die Wahrheit sagen …“
„Sprich weiter!“, ermunterte sie die Königin.
„Von meiner Familie waren nicht mehr alle am Leben … wir waren nur noch zu zweit, ein Bruder und ich … sein Name ist |73| Tugumir. Er ist etwas jünger als ich … von schöner Gestalt, er war ein berühmter Krieger, doch in seinem Wesen sanftmütig und freundlich. Wir kamen hierher, über den Fluss, in diese Burg. Man trennte uns, ich sah ihn nicht wieder. Viele Gebete schickte ich zum Himmel … in der Hoffnung, dass er am Leben war und dass es ihm nützte. Bald starb diese Hoffnung. Ich konnte nichts über ihn erfahren und hielt ihn schon lange für tot. Da aber … vor kurzem … hörte ich etwas von ihm. Dass er lebt, doch dass es ihm schlecht geht. Im Kerker, hieß es, siecht er dahin. Er sei schon sehr schwach …“
„Von wem hast du das gehört?“, fragte der König.
Petrissa zögerte, schlug die Augen nieder.
„Von wem – will ich wissen!“, beharrte Otto.
„Es wird dir ja nichts geschehen“, sagte die Königin. „Hab keine Angst, niemand wird erfahren, was du hier mitteilst. Nenne den Namen.“
„Es war Euer Bruder, Herr Heinrich“, sagte Petrissa leise.
„Er unterhielt sich mit dir?“, fragte Otto. „Wann und wo?“
„Vor zwei Monaten in der Merseburg.“
„Sprach er dich an, um dir das zu sagen?“
„Wir sprachen auch über andere Dinge. Dabei erwähnte er Tugumir.“
„Was wusste er noch über ihn?“
„Er soll hier sein, in Magdeburg. Man will ihn, sagte Herr Heinrich, hier in seinem Kerker umkommen lassen.“
Die letzten Worte wurden von einem Schluchzen verzerrt. Petrissa warf sich plötzlich vor dem König auf die Knie und stieß den Kopf auf den Boden vor seinen Füßen.
„Um Christi willen! Ich bitte Euch, rettet ihn! Was hat er getan? Warum soll er denn sterben?“
„Beruhige dich, steh auf! Warum weinst du?“ Edgith nötigte die Wendin, sich zu erheben und wieder zu setzen. „Unser Bruder Heinrich hat gewiss übertrieben. Der König wird sich der Sache annehmen. Das darf ich doch in deinem Namen versprechen?“, wandte sie sich an Otto.
Er hatte sich umgedreht und antwortete nicht. Durch das Fenster blickte er auf die breiten, glitzernden, schimmernden Arme der Elbe hinunter, in denen sich der Himmel mit der untergehenden Sonne rotgolden spiegelte. Edgith sah, wie er die verschränkten |74| Hände knetete und wie sich sein breiter Rücken in dem engen Rock spannte. Sie kannte diese Anzeichen großer Unruhe.
„Ich werde nachsehen, wie weit die Frauen mit deinen Kleidern sind“, sagte sie zu Petrissa. „Vielleicht sind sie schon fertig. Sie sind geschickt, man wird den Schaden kaum bemerken.“
Sie strich der Wendin mit einer scheuen Geste über das wirre Haar, warf dem immer noch abgewandt stehenden Otto einen besorgten Blick zu und ging hinaus.
Petrissa sah ängstlich auf den reglosen Rücken. Sie bewegte die Lippen, wagte jedoch nicht zu sprechen.
Nach einer Weile sagte der König, ohne sich umzudrehen: „Du hast unsere Sprache gelernt. Man bemerkt kaum noch, dass du von drüben kommst, aus dem Land dort hinter dem Fluss. Damals sprachen wir nicht, wenn wir zusammen waren. Wir verstanden nicht, was der andere sagte. Auch ich habe eure Sprache erst später gelernt, nicht so gut wie du
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