Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
öffnen und ihn und mich den Blicken aller dort in der Kirche preiszugeben. Da wischt er das Blut von der Stirn, drückt seine Kappe ins Gesicht. Will hinaus zu der anderen Tür. Aber vorher zischt er mir zu: ‚Das kommt dich teuer zu stehen, wendische Hure! Nach dem Hoftag geht es zurück nach Belecke, mit einem Umweg über Fulda. Dort schnappe ich mir dein Söhnchen! Was glaubst du wohl, was ich dann mit ihm machen werde?‘ Das sagte er und ging fort. So gut es ging, richtete ich mich her, schlich mich zurück in die Kirche. Eure edle Frau Mutter half mir. Auch Eure Gemahlin, die Frau Königin, hatte etwas bemerkt. Sie schickte nach mir und so brachte man mich hierher.“
Der König hatte ohne sichtliche Anteilnahme, mit verschlossener Miene zugehört.
„Seltsam“, sagte er nach kurzem Schweigen. „Er ist ja noch fast ein Knabe. Du musst ihn ermuntert haben.“
„Wie meint Ihr das?“, fragte Petrissa betroffen. „War es Ermunterung, wenn ich mich vor dem Sohn meiner Wohltäterin mit einem demütigen Lächeln verneigte?“
|77| „Tatest du das oft?“
„Wenn ich ihm zufällig begegnete. Wenn er unseren Konvent besuchte. Er kommt ja sehr oft.“
„Auch mich hast du damals ermuntert“, sagte Otto, indem er sich wieder abwandte und aus dem Fenster sah. „Mit aufreizendem Gebaren.“
Einen Augenblick hielt die Wendin den Atem an, um ihrer Empörung Herr zu werden.
„Ihr wisst genau, wie es damals war!“, sagte sie dann. „Es war mir befohlen worden … um den Preis meines Lebens. Ich hatte nicht zu wählen und musste mich fügen.“
„Aber es hat dir Vergnügen bereitet.“
„Auf mein Vergnügen kam es nicht an, nur auf das Eure. Durfte ich Euch denn zeigen, was ich empfand? Konnte ich es Euch sagen, da wir nicht einmal die Sprache des anderen verstanden?“
„Du hasstest mich?“
„Nein.“
„Aber du liebtest mich auch nicht.“
„Ich liebte einen Mann, der beim Sturm auf die Brandenburg von sächsischen Kriegern erschlagen wurde. Es war mir gleichgültig, wer nach ihm kam. Ihr oder ein anderer.“
„Dann könnte es dir doch auch gleichgültig sein, wenn es nun Heinrich wäre.“
„Nein, das könnte es nicht!“, sagte sie heftig. „Er ist Euer Bruder, ein naher Verwandter meines Sohnes. Er würde mich auch nicht zur Gemahlin begehren. Und ich habe mein Leben dem Herrn geweiht und geschworen …“
Otto schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Du bist keine Nonne. Aber lassen wir das.“ Er wandte sich ihr wieder zu und blickte sie durchdringend an. „Ich kann nicht alles glauben, was du mir erzählst. Dass du Heinrich gefällst, verstehe ich. Auch dass er sich zu Torheiten hinreißen lässt, wie vorhin in der Kirche und versucht, Gewalt anzuwenden. Das alles liegt in seiner Natur. Aber wie sollte es ihm einfallen, meinen Sohn zu entführen, seinen Neffen … ihm gar etwas anzutun … nur weil er dich nicht in sein Bett bekommt?“
„Darauf kann ich Euch nichts erwidern. Ich habe Euch alles berichtet – so wie es war.“
„Das hast du hinzugefügt. Das hast du gelogen.“
|78| „Ich lüge nicht!“, verteidigte sie sich mit geballten Fäusten und schien einen Augenblick lang zu vergessen, dass sie dem König gegenüberstand. „Warum behauptet Ihr das? Es ist ungerecht. Ihr habt mir befohlen, die Wahrheit zu sagen. Das tat ich. Ich gab nur die Worte wieder, die er mir zuschrie!“
„Ja, ja“, sagte Otto und begann, die Hände auf dem Rücken knetend, auf und ab zu gehen. „Es mag ja sein, dass er sich so weit vergaß … Eine leere Drohung, um Eindruck zu machen. Um doch noch bei dir zum Ziel zu gelangen. Der gute Junge! Er liebt mich, er würde sich nicht gegen mich vergehen … nein, niemals! Auch das andere … alles Dummheiten! Dass wir deinen Bruder verkommen lassen … Geschwätz! Warum sollten wir das tun? Der kann uns noch nützlich sein. Also beruhige dich. Er lebt im Verborgenen, aber ihm fehlt nichts. Genauso wenig wie unserem Sohn, wie ich hoffe. Wenn Wilhelm gelernt hat, was er braucht, soll er eines Tages Erzbischof werden. Das habe ich längst beschlossen. Ich selber werde ihn dazu ernennen, wenn die Zeit gekommen ist.“
„Wenn Ihr die Zeit erlebt.“
Sie biss sich im selben Augenblick auf die Lippe. Die Worte waren ihr eher unwillkürlich entfahren.
Aber er hatte sie gehört. Er blieb abgewandt stehen und zog den Kopf tief zwischen die Schultern. Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Er schob sie beiseite und drehte ihr langsam,
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