Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Ludwig kommen und schwor ihm den Lehenseid.“
„Ja, und der kleine Ludwig sitzt nun in der Zange – so wie sein Vater“, bemerkte Gondebaud. „Links zwickt ihn Hugo Magnus, rechts Graf Heribert.“
„Er wird sie bald selber zwicken und in die Zange nehmen. Sie dachten, sie hätten nun einen schwachen König, einen unerfahrenen Jüngling, könnten nach Herzenslust mit ihm umspringen und sich weiter auf seine Kosten bereichern. Aber er sucht sich schon Verbündete – und eines Tages, sage ich dir, wird er der Elefant sein, der die beiden Löwen zertrampelt.“
„Zum Teufel, das möchte ich sehen, wie aus der Fliege ein Elefant wird! Wer sind denn diese Verbündeten? Weißt du das auch schon?“
„Nichts Genaues“, sagte Raoul, sein Bärtchen streichend. „Vielleicht die Grafen von Rouen und von Flandern. Und … wahrscheinlich …“
„Nun? Etwa auch unser Herzog Giselbert?“
„Nein, das steht noch nicht fest und ich bin nicht befugt, darüber zu reden“, wehrte der Ziegenbart mit der Miene des Wissenden ab.
Hadalt, der zuletzt immer näher zum Tisch gerückt war und die Ohren gespitzt hatte, mischte sich ein.
„Das steht noch nicht fest?“, fragte er. „Warum nicht? Kam etwas dazwischen?“
„Ja, es kam etwas dazwischen“, sagte Raoul und verzog das Gesicht wie im Schmerz. „Es war der Erzbischof Artaud. Er hat alles verdorben.“
„Alles verdorben?“, fragte Hadalt gespannt. „Das Bündnis des Herzogs Giselbert mit König Ludwig?“
„Ja, wir waren schon fast soweit. Kamen voran in den Verhandlungen. Doch im letzten Augenblick kommt er mit einem ganzen Tross seiner Pfaffen angeritten, von Reims her und … Aber“, unterbrach er sich plötzlich, „was geht denn Euch das an? Warum fragt Ihr danach? Wer seid Ihr überhaupt?“
„Das ist doch hier jedem bekannt“, erwiderte Hadalt, treuherzig lächelnd. „Ich bewirtschafte Güter in Toxandrien, bin wegen der Abgaben hier. Es wäre ein großes Glück für uns, wenn wir die sächsische Plage los würden und wieder unter den Schutz des Königs |178| der Westfranken kämen, so wie früher, bevor uns König Heinrich in sein rückständiges Ostreich zwang.“
„Keine Sorge, guter Freund“, sagte der Ziegenbart gönnerhaft. „Die Zeit wird kommen – und zwar bald. Lothringen wird wieder zum Westen gehören, das steht fest. Die Sache wurde nur aufgeschoben.“
„Und Ihr wisst wirklich nicht – warum?“
„Ihr seid mir zu neugierig. Ich muss mich jetzt auch um meine Männer kümmern …“
Später stiegen zwei Mönche herauf, denen Schlafplätze zugewiesen waren. Raoul und Gondebaud waren verschwunden, der Pilger schnarchte in einer Ecke. Die Mönche knieten gleich in der Nische mit dem Altar und dem Bildnis der Gottesmutter und hielten eine kurze Andacht. Dann setzten sie sich an den Tisch, kramten Zwiebeln, Brot und Käse aus ihren Bündeln und begannen zu essen.
Ab und zu wechselten sie ein paar Worte und Hadalt, der viel herum gekommen war und das Diutisk in allen seinen Abwandlungen beherrschte, hörte schnell heraus, woher sie kamen: aus Bayern. Ihrem tröpfelnden Wortwechsel entnahm er, dass auch sie mit Herzog Giselbert aus Laon gekommen waren. Als der Name des Erzbischofs Artaud fiel, wurde der Gesandte König Ottos endgültig aufmerksam.
Als wollte er nur nachsehen, ob eine Kanne, die auf dem Tisch stand, noch Wein enthielt, trat er mit seinem Becher heran und fragte die beiden in launigem Tonfall: „Gefällt es Euch nicht mehr in Bayern, ehrwürdige Väter, dass es Euch hierher in den kalten Norden zieht?“
Die beiden Mönche sahen sich an, erstaunt darüber, dass jemand sie in ihrem anderswo schwer verständlichen Diutisk ansprach. Auch Misstrauen lag in ihren Blicken. Der Ältere brummte nur abweisend, doch der Jüngere machte eine zustimmende Kopfbewegung und erwiderte:
„Ihr habt Recht, es gefällt uns nicht mehr in Bayern.“
„Das wundert mich aber“, sagte Hadalt, während er sich auf der Bank am Tisch niederließ. „Werdet Ihr nicht die herrlichen Berge, Flüsse und Wälder vermissen?“
„Die vermissen wir jetzt schon. Etwas anderes aber vermissen wir nicht.“
|179| „Was meint Ihr damit?“
„Den König Otto und sein Kriegsvolk.“
„Den König Otto?“, fragte Hadalt und tat erstaunt. „Hat der es etwa gewagt, nach Bayern zurückzukehren?“
„Ja, das hat er gewagt“, sagte der junge Mönch seufzend.
„Man erzählte hier, dass er im Frühjahr schmählich abziehen
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