Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
musste.“
„Diesmal kam er mit einem gewaltigen Heer, doppelt so stark wie das vorige, da war Widerstand zwecklos. Regensburg öffnete ihm die Tore, die Großen zogen ihm entgegen, er ritt ein und jagte unseren Herzog davon.“
„Jagte ihn davon? Wahrhaftig? Und wer regiert jetzt bei euch?“
„Nun, er … König Otto, der Sachse.“
„Der König – allein?“
„Nein, er hat auch schon einen neuen Herzog ernannt, Herrn Berthold, den jüngeren Bruder des seligen Herzogs Arnulf. Aber der hat nicht mehr viel zu sagen. Bischöfe ernennt in Zukunft der König, das Krongut in Bayern darf nur noch er nutzen, und zu den Waffen greifen, ohne ihn vorher zu fragen, erlaubt er den Bayern auch nicht mehr. Ich dürfte wohl nicht einmal meinen Knüppel schwingen, wenn eine Heidenfratze auftauchte. So steht es bei uns, guter Mann, und da fragst du, ob es uns dort noch gefällt. Wenn ich Euch erzähle, wie …“
„So schweig doch endlich, Bruder Amandus!“, raunzte der ältere Mönch, der dem anderen vorher schon Zeichen gegeben hatte. „Herzog Giselbert wünscht nicht, dass wir das alles ausplaudern … dass es bekannt wird. Wir müssen ihm dankbar sein, dass er uns in seinem Kloster St. Servatius aufnimmt.“
„Was willst du?“, verteidigte sich der Amandus Genannte. „Bald weiß ohnehin jedes Kind im Reich der Ostfranken, dass die Bayern klein beigeben mussten. Bin ich ein verspundetes Fass? Ich muss endlich jemandem erzählen, was wir erlebt haben. Und dieser gute Mann hier versteht mich sogar, kennt unsere Sprache …“
Doch es bedurfte gar nicht mehr eines ausführlichen Berichts – Hadalt wusste bereits genug. Von Freude und Genugtuung erfüllt, fiel es ihm schwer, weiter den freundlichen, harmlosen Schlafgenossen zu spielen, der sich langweilte und dankbar für eine aufregende Geschichte war. Otto, der Unterschätzte, der Beargwöhnte, der Gehasste hatte also wieder bewiesen, dass er das |180| Heil und die Gnade Gottes besaß. Zum zweiten Mal in diesem Jahr hatte er unblutig einen gewaltigen Sieg errungen. Bayern war wieder sicher beim Reich, es drohte kein offenes Loch, keine gefährliche Wunde im Süden. Und alle von Herzog Arnulf so hartnäckig erstrittenen Sonderrechte waren beseitigt.
Der Gesandte König Ottos folgte der mäandernden Erzählung des Amandus nur noch mit halber Aufmerksamkeit. Die Mönche waren aus Regensburg geflohen und hatten wertvolle Stücke aus dem Bestand des Klosters Sankt Emmeram mit sich genommen, damit sie dem Zugriff des plündernden sächsischen Kriegsvolks entgingen. Nach einem Abenteuerritt über 360 Meilen waren sie nach Reims gelangt, wo der Erzbischof, ein Verwandter des Regensburger Priors, die geretteten Kostbarkeiten in Empfang nahm. So hatte Artaud die bestürzenden Neuigkeiten aus Bayern erfahren und nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die bayerischen Mönche nach Laon an den Hof König Ludwigs zu bringen, wo sich gerade der Herzog Giselbert aufhielt.
„Und wie nahmen der König und der Herzog eure Nachrichten auf?“, fragte Hadalt wie beiläufig, obwohl dies für ihn die entscheidende Frage war.
„Sie waren empört“, sagte Amandus, „weil so ein Sachsenkönig es wagte, einen Nachkommen des großen Kaisers Karl, einen Karolinger, außer Landes zu jagen.“
„Außer Landes zu jagen? Tat er das wirklich?“
„Er tat es, mein guter Mann, er tat es! Natürlich weiß ich nur, was geredet wurde. Die bayerischen Großen versammelten sich und König Otto … nun, der ließ sich von seinem neuen Herzog Berthold den Treueid leisten. In diesem feierlichen Augenblick stürmt der um seine Würde gebrachte Herzog, Herr Eberhard, den man zuvor nur in leichter Haft gehalten hatte, in die Halle … schreit, das Unrecht werde er nicht hinnehmen … er sei nicht am Ende … draußen im Lande sei man ihm treu … und indem er die Fäuste schüttelt, droht er, der König und alle Verräter mögen sich vorsehen, er werde bald wiederkommen. O du heiliger Emmeram! Da ist er schon fort und draußen zu Pferde … alles seufzt und bekreuzigt sich … doch König Otto gibt kaltblütig seinen Leuten Befehl, ihn einzufangen … und so kommt er denn auch nicht weit. Nun hat der König Grund, über ihn zu Gericht zu sitzen – als Verschwörer, Aufrührer, Friedensstörer – und ihn für alle Zeiten aus Bayern und dem Ostfränkischen |181| Reich zu verbannen. Unter strenger Bewachung wird er zur Grenze gebracht, in die Berge, wo das Gebiet der wilden, feindlichen Böhmer
Weitere Kostenlose Bücher