Abgründe (German Edition)
Felder, Pferdekoppeln und ausgedehnte, einstöckige Bungalows – alle gut in Schuss und meist mit teuren Geländewagen davor. Einzig vor Jermyns Haus stand ein ausgedienter Mercedes, den Ethans Pontiac gnadenlos verblassen ließ.
Ethan stieg aus und beeilte sich, das Haus zu erreichen. In einem Zimmer im unteren Stock brannte Licht, ansonsten war alles dunkel. Er klingelte und es ertönte 'Oh when the saints go marching in'. Gott, hier konnte er sich wohl auf etwas gefasst machen.
Schritte hinter der Tür, dann wurde sie von Jermyn persönlich geöffnet. Er war ein hagerer, dunkelhaariger Typ, den Ethan auf keinen Tag älter als fünfundzwanzig geschätzt hätte. Mit einem besorgten Lächeln bat er Ethan herein. Er war ein hagerer, dunkelhaariger Typ, den Ethan – wüsste er es nicht besser – auf höchstens fünfundzwanzig geschätzt hätte. Seit er Haley vor Jahren behandelt hatte, war er scheinbar keinen Tag gealtert.
Mit einem besorgten Lächeln bat er Ethan herein und führte ihn in eine große Wohnküche. Auf dem Herd garten Nudeln in einem Topf; in einer Pfanne daneben briet etwas, das wie Tofu aussah. Ironischerweise kannte Ethan dieses Zeug ausgerechnet von Claire. Offensichtlich verstand sie sich auf ernährungstechnischer Ebene gut mit ihrem Therapeuten.
»Bitte setzen Sie sich doch, Detective Hayes.« Der jugendliche Psychotherapeut wies auf den Esstisch und begab sich selbst an den Herd. Ethan nahm auf einem Stuhl Platz, von dem aus er den Mann nicht aus den Augen verlieren konnte. Man wusste ja nie. Jeder war verdächtig. Er zog seinen kleinen Block und einen Stift aus der Innentasche, um sich Notizen zu machen.
»Ist eine schlimme Sache mit Claire.«
»Sie duzen einander?«
Jermyn drehte sich grinsend zu Ethan um. »Und Sie glauben jetzt, dass das etwas zu bedeuten hat?« Es ging schon los.
»Keine Ahnung, sagen Sie es mir. Wie persönlich ist Ihr Verhältnis?«
»Nicht allzu persönlich oder – wenn Sie so wollen – sehr persönlich.«
Jermyn drückte Tofuscheiben mit einer Gabel klein. Das Zeug quietschte in der Pfanne, als wollte es protestieren.
»Erklären Sie das.«
»Na ja, einerseits ist unser Verhältnis auch nicht anders als bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt und seinem Patienten. Eben unpersönlich. Andererseits erzählt Claire mir eine Menge. Eine weitere Menge lese ich aus ihrer Mimik, ihrer Gestik, ihrer Ausdrucksweise.« Wieder grinste Jermyn. Die Selbstgefälligkeit dieses Mannes ging Ethan auf die Nerven.
»Sie finden mich ziemlich ätzend«, stellte der Therapeut prompt fest.
Ethan sah überrascht auf. »Ich habe gar keine Meinung über Sie, Doktor. Die will ich mir ja gerade bilden.«
»Weil Sie mich verdächtigen?«
»Als Bekannter der Entführten sind Sie ein potenzieller Verdächtiger, ja.«
»Und Sie, als der Ex-Verlobte?«
Die Erinnerungen an seine gemeinsame Zeit mit Claire lösten einen dumpfen Schmerz in Ethans Magen aus. Er versuchte, sie auszublenden. »Sie hat mit Ihnen über mich gesprochen?«
»Ja, aber Sie verstehen wohl, dass ich da nicht ins Detail gehen darf.«
»Wie lange ist Misses Travis schon bei Ihnen in Behandlung?«
Jermyn hob die Gabel und drehte sich zu Ethan um. »Ich gehe jetzt mal nicht weiter auf Ihre emotionale Distanzierung von Misses Travis ein. Seit mehr als drei Jahren.«
»Hat sie jemals etwas davon erzählt, dass sie bedroht wird? Oder dass ihr jemand nachstellt?«
»Nein, bedaure.«
»Hatte sie jemals Probleme mit ihrem jetzigen Mann? Oder einem anderen Mann in ihrem Leben?«
»Ja.«
Ethan sah hoffnungsvoll auf, während sich Jermyn in aller Ruhe Spaghetti auf den Teller schaufelte. Dann drehte er sich zu Ethan um.
»Aber keine, die implizieren, dass sie einer davon entführen oder töten will.«
Ethan stöhnte genervt und senkte den Blick wieder auf seine Notizen.
»Wollen Sie mitessen?«
Obwohl ihm mittlerweile fast schlecht vor Hunger war, verneinte er. In Zeugengesprächen versuchte er im Gegensatz zu Donovan immer, einen gewissen Abstand zum Befragten zu wahren. Außerdem war er kein großer Freund der vegetarischen Küche.
»Ich möchte wetten, Sie haben ein Problem mit Dicken.«
Ethan sah verwirrt auf. Weder er noch Jermyn hatten ein Gewichtsproblem.
»Sie mögen Disziplin; Männlichkeit. Sie strahlen Stärke aus. Alle Bilder, die ein fetter Mensch in unsere Köpfe projiziert, sind für Sie Zeichen von Trägheit und Selbstaufgabe. Des Sich-selbst-nicht-ernst-nehmens.«
Ethan musste an Mason denken, der
Weitere Kostenlose Bücher