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Abgründe (German Edition)

Abgründe (German Edition)

Titel: Abgründe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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dabei frisches, noch feuchtes Blut gefunden. Die Blutstropfen hatten eine dünne Spur nach draußen gebildet. Dort hatte er ein Loch im Zaun entdeckt. Sie hatte mit einer Kneifzange den Draht durchtrennt. Die Blutspur war danach im Laub verschwunden. Er hob die Zange auf, die Claire liegen gelassen hatte und leuchtete mit einer Taschenlampe durch die Öffnung in den dunklen Wald. Er wünschte sich, dass es geregnet hätte, denn dann hätte sie Fußabdrücke im feuchten Unterholz hinterlassen. Doch der Boden war knochentrocken und der Wind, der vom Ozean herüber zog, verwehte das Laub zu ständig neuen Formationen.
    Seine Gedanken rasten. Was hätte er an ihrer Stelle getan? War sie einfach blindlings in den Wald gelaufen oder hatte sie den Wasserturm umrundet, um Ames auf eine falsche Fährte zu führen und war wieder am Tor angelangt? Langsam drehte er sich um die eigene Achse und suchte den dichten Wald nach der perfekten Richtung ab. Der Richtung, die Rettung versprach. Was taten die Frauen in Horrorfilmen, wenn sie versuchten, dem Killer zu entkommen? Die klugen Frauen, wohlgemerkt. Die, die nicht einfach losrannten, um dann im nächsten Moment ihrem Jäger vor den Geländewagen zu laufen. Sie dachten nach, was ihnen die höchste Überlebenschance sicherte. Eine Hauptverkehrsstraße zum Beispiel. Oder eine Telefonzelle. In jedem Fall Zivilisation .
    Ames stoppte ruckartig und blickte grinsend über die Bäume hinweg. In drei der Himmelsrichtungen war der Wald stockdunkel, aber im Norden erkannte er die gleißenden Lichter des Technology Boulevard. Er rannte los.
     
    Claires Lungen schmerzten. Ihre dünnen Turnschuhe boten keinen Schutz gegen den verwurzelten, unebenen Waldboden; Dornen hatten Löcher in ihre Kleider gerissen und ihr das Gesicht zerkratzt. Es hatte ewig gedauert, bis sie den Stuhl zersägt hatte. Zu allem Unglück hatte sie sich in der Hektik auch noch selbst das Handgelenk angesägt. Die Wunde schmerzte, doch das war nicht weiter schlimm. Der Schmerz hielt sie wach und trieb sie weiter. Sie durfte gar nicht an den Verrückten denken, der sie hergebracht hatte, sonst würde sie vermutlich vor Panik den Verstand verlieren. Es musste die Resort City-Bestie sein, über die die Medien momentan andauernd berichteten, da sie keine Feinde hatte, die ihr so etwas antun könnten und keine Freunde, die sich einen derart makaberen Scherz mit ihr erlauben würden.
    Sie musste unbedingt die Straße erreichen, weg aus diesem Wald, wo er sich wahrscheinlich auskannte und ihr deshalb weit überlegen war. Sie jagte vorwärts und versuchte dabei, sich die Gestalt des Kidnappers in Erinnerung zu rufen, doch er hatte sie derart stark betäubt, dass ihre Entführung ihr vorkam wie ein Traum, durchzogen von irrwitzigen Details und komischen Gestalten. Sie wusste lediglich, dass es ein Mann gewesen war und dass er eine Kapuze getragen hatte. Sie würde der Polizei keine Details nennen können, aber das sollte ihr völlig egal sein, wenn sie die Polizei nur erstmal lebend erreichte.
    Claire kämpfte sich weiter durch das Unterholz; tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Wie hatte er sie betäubt? Wieso hatte sie es nicht bemerkt? Was hatte sie abgelenkt? Der letzte Moment, an den sie sich klar und deutlich erinnerte, war der Gang zu ihm zu ihrem Wagen und das Stolpern über eine kleine Unebenheit auf dem Parkplatz. Alles andere war verwirrend und verdreht.
    Sie erreichte eine Lichtung und blieb stehen, um Luft zu holen. Verdammt, sie musste wirklich mehr Sport treiben. Schwer atmend beugte sie sich vor, wie nach einem Dauerlauf, um das Seitenstechen in den Griff zu kriegen. Sie atmete drei, vier mal tief durch, dann blickte sie auf und sah, dass die Straßenlaternen jetzt viel deutlicher durch die Bäume schienen und die Lichter der ortsansässigen Firmen schon ganz nah waren. Sie lächelte nervös und zugleich hoffnungsvoll, dann setzte sie sich wieder in Bewegung, wenn auch langsamer als zuvor. Um sich von dem Gedanken abzulenken, dass der Perverse mittlerweile womöglich zurückgekehrt war und bemerkt hatte, dass sie fort war, begann sie ihre Schritte zu zählen. Sie stellte sich den Entführer wie einen Wolf vor, dem die sicher geglaubte Beute entkommen war. Es würde ihn furchtbar wütend machen, dass sie geflohen war.
    Plötzlich knackte es im Geäst. Claire blieb wie angewurzelt stehen und horchte. Ihre Siegessicherheit verflog. Sie wünschte, ihr rasselnder Atem würde leiser gehen und hoffte, dass ihr

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