Abgründe (German Edition)
zu lösen. Sein Herz raste und er spürte tatsächlich Wut in sich aufsteigen. Er wollte kein offenes Buch für diesen Jungen sein. Aber er konnte sich gegen die Erinnerungen nicht wehren, die wie Bilder in seinem Kopf aufblitzten.
Es war der Morgen seines elften Geburtstages, als der Albtraum begann. Ethans Mutter hatte ihn geweckt und in die Küche an den gedeckten Tisch geführt. Sein Vater saß bereits dort und reckte ihm die Hand entgegen, um ihm zu gratulieren. Er verzog den Mund zu einem Lächeln, doch seine Augen blieben wie immer kalt. Seine Mutter schnitt schweigend den Kuchen an, während sein Vater Pfeife rauchte. Dichter, nach Vanille riechender Qualm vernebelte die Küche. Die Anspannung lag spürbar im Raum, aber Ethan hatte nur Augen für das bunt verpackte Geschenk vor sich auf dem Tisch.
Als er es endlich öffnen durfte, war er enttäuscht. Anstatt des Rennwagens, den er sich so sehr gewünscht hatte, befand sich nur ein schweres, goldenes Kreuz mit der Inschrift ‚Saint Andrew the Apostle of Detroit’ darin.
Er blickte kurz seinen Vater an, der sich erhob und wandte den Blick seiner Mutter zu, die mit Tränen in den Augen den Raum verließ. An ihre Stelle trat Father Evans, ein langjähriger Freund seines Vaters. Sein Vater erklärte, dass Ethan nun auf die Junior High des Saint Andrew's-Ordens gehen würde, ein katholisches Internat, das es sich zum Ziel gesetzt hatte „junge Menschen aus christlicher Weltsicht zum Dienst an Gesellschaft und Kirche hinzuführen“. Noch in derselben Woche verließ er sein Zuhause.
Wegen der Freundschaft zwischen seinem Vater und Father Evans genoss Ethan auf dem Internat eine sehr spezielle Sonderbehandlung. Auf Anraten seiner Eltern wurde er von Evans jeden Sonntag in den Beichtstuhl gezerrt. Obwohl Ethan wusste, dass sein Vater jedes Wort seines Sündenbekenntnisses erfahren würde, berichtete er anfangs bereitwillig über alles, was er die Woche über verbrochen hatte. Eine Prügelei mit einem Mitschüler; gestohlene Plätzchen aus der Internatsküche. Doch als er sich mit vierzehn in die Tochter der Internatsköchin verliebte und mit ihr seine ersten sexuellen Erfahrungen machte, verweigerte er die Beichte. Auch wenn er wochenlang verbissen schwieg, bekam Evans Wind von der Sache und beschloss zu drastischen Mitteln zu greifen.
Es war Sommer und die anderen Schüler wurden von ihren Eltern in die Ferien abgeholt. Auch Ethan stand mit gepackten Koffern vor dem Gebäude und wartete ungeduldig darauf, dass der grüne Ford seines Vaters endlich um die Ecke bog. Doch er wartete vergeblich. Anstelle seines Vaters tauchte Evans auf und befahl im, mit in die Kapelle zu kommen. Mit Hilfe zweier weiterer Kirchendiener überwältigte und fesselte er Ethan, der sich heftig wehrte, mit dicken Stricken in den Beichtstuhl und ließ ihn dort zurück.
Zuerst hielt Ethan das Ganze für einen üblen Scherz. Eine Erziehungsmethode seines Vaters. Als Evans sich jedoch die gesamte Nacht und den darauf folgenden Morgen nicht blicken ließ, bekam er es langsam mit der Angst zu tun. Obwohl er wusste, dass sich außer ihm und den Kirchendienern niemand mehr auf dem Internatsgrundstück befand, rief er um Hilfe. Vergebens.
Erst in der nächsten Nacht tauchte Evans auf. Ethans Handgelenke waren bereits wund gescheuert und seine Augen brannten vor Übernächtigung.
Father Evans setzte sich schweigend in die andere Seite des Beichtstuhls. Ethan wusste, das er ihn erst losmachen würde, wenn er ausgiebig über seine Sünden mit Mary, der Tochter der Köchin, gesprochen hatte. Doch Ethan dachte gar nicht daran. Zorn und Rebellion nahmen von ihm Besitz und er schwieg eisern.
Insgesamt kauerte er fünf Tage schweigend im Beichtstuhl, bis sein Körper entkräftet nachgab. Doch anstatt ihn loszumachen, zwangen ihn Evans und seine Gehilfen zu essen und flößten ihm Wasser ein, bevor die Prozedur erneut losging. Als er sich immer noch weigerte, mit einem Fremden über seine intimsten Geheimnisse zu sprechen, versuchten sie es mit Schlägen, die zu regelrechter Folter ausarteten.
Nach fast zwei Wochen im Beichtstuhl beichtete Ethan alles, was Evans von ihm hören wollte.
»Detective?«
Ethan blickte auf und verstand, dass er sich immer noch in der Küche des Therapeuten befand.
»Worum ging es damals?« Ein siegessicheres Grinsen lag auf Jermyns Gesicht. »Ich bin mir sicher, dass es Sie bis heute verfolgt. Dass Sie auf eine bestimmte Art noch in Ihrer Jugend gefangen
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