Abgründe (German Edition)
ungewöhnlich.
Am liebsten wäre es Ethan gewesen, Evangeline wäre über Nacht geblieben oder am besten gleich eingezogen. Er wunderte sich über sich selbst. Eigentlich brauchte er seine Freiheit und empfand Frauen, mit denen er mehr als zweimal das Bett geteilt hatte, eher als lästig. Bei Evangeline war das ganz anders.
Er beschloss, seine Wohnung ein bisschen frauenfreundlicher zu gestalten und begann im Schlafzimmer. Seine Playboy-Sammlung musste verschwinden. Und auch die wenigen Pornos, die er für Notfälle hatte. Notfälle, die nie eintraten, weil er eigentlich immer irgendwo irgendeine Frau abschleppen konnte. Er ließ die Magazine und die DVDs in einem Müllsack verschwinden, was ihm nicht halb so schwer fiel, wie er gedacht hatte. Dann ersetzte er ein paar Bilder an den Wänden durch neutrale Landschaftsaufnahmen, die er von seiner Mutter geerbt hatte und die sicher auch Evangeline gefallen würden. Als letztes räumte er noch ein wenig auf und schmiss alles weg, was klischeehafterweise auf einen reinen Männerhaushalt hinwies. Leere Bierdosen zum Beispiel. Dann trug er den Sack nach draußen und atmete durch. Das wäre geschafft.
Sobald er keine Ablenkung mehr hatte, kreisten seine Gedanken wieder um die Resort City-Bestie. Die Tatsache, dass der Mörder offenbar ihm persönlich schaden wollte, hatte alles geändert. Es musste jemand sein, der ein ziemlich großes Problem mit ihm hatte und Ethan kam immer wieder zu einem Schluss, der ihm ganz und gar nicht gefiel: Wilbur Birch. Er war der Einzige, der Ethan jemals ernsthaft gedroht hatte und er war einer der wenigen Menschen, denen Ethan ohne Weiteres Morde dieser Art zutraute. Es gab da nur ein Problem: Wilbur Birch lebte seit zehn Monaten in seinem Haus in Detroit. Gesichert durch eine elektronische Fußfessel.
Ethan wusste nicht, ob ihn diese Tatsache freuen oder deprimieren sollte. Er hatte Madison immer wieder aus voller Überzeugung erklärt, dass Birch nicht hier in Virginia Beach sein, die Morde nicht begonnen haben konnte, doch kamen ihm langsam selbst Zweifel. Gott, nicht auszudenken, wenn Maddi Recht gehabt und er ihr einfach nicht geglaubt hatte. Hatte sie sich aus Verzweiflung umgebracht, weil selbst Ethan, ihre einzige Bezugsperson, ihre Besorgnis auf ihre Psychosen und Wahnvorstellungen geschoben hatte?
Er verbot sich den Gedanken. Es konnte unmöglich Birch sein.
-55-
Es war ein Mittwoch, einer jener verregneten Tage, an denen es in Detroit gar nicht richtig hell zu werden schien. Die Scheibenwischer des Einsatzwagens verursachten ein beständiges Quietschen auf der Windschutzscheibe, das Ethan den letzten Nerv raubte. Die Männer des SWAT-Teams blieben ruhig und unbewegt, fast stoisch auf dem Weg zum Versteck des Wahnsinnigen.
Die gesamte Fahrt über starrte Ethan das Bild des jungen Mädchens an, das sich seit mehr als drei Wochen in seiner Gewalt befand. Sie hätten es längst finden müssen. Er konnte an nichts anderes denken als an die Qualen, die Madison West während dieser Zeit möglicherweise erlitten hatte. Seit fast einer Woche lebte er auf dem Polizeirevier, ohne Pausen, so gut wie ohne Schlaf. Und heute, endlich, hatte sie jemand gesehen. Am Fenster eines leerstehenden Hauses in Old Redford hatte sie Handzeichen gemacht, bevor sie jemand fortgerissen hatte.
Ethan sah aus dem Fenster. Er wusste, dass es jetzt ums Ganze ging. Sein erster Fall als Einsatzleiter und er kam sich vor wie am ersten Schultag. Sogar die kugelsichere Weste löste Beklemmungen bei ihm aus.
»Wir sind da«, riss ihn Edwin Franklyn, sein Partner aus seinen Gedanken. Edwin war seit dreißig Jahren Detective, ein Afroamerikaner von zwei Metern Größe, dem am Jahresende der Ruhestand winkte. Heute beneidete Ethan ihn.
Fast wie in Trance verließ er mit den Männern den Mannschaftswagen und gab die nötigen Kommandos. Das Haus, in dem Madison West gefangen gehalten wurde, war augenscheinlich kurz vor dem Zusammenbrechen. Die Fassade war schmutzig und der verwilderte Garten bot mehr als genug Verstecke für die Scharfschützen. Der Regen hatte nachgelassen, es blieben ihnen noch eine bis zwei Stunden bis zum Einsetzen der Dunkelheit.
Da, plötzlich, eine Bewegung am Fenster. Ethan blickte auf und entdeckte einen Mann mit feistem, kindlichen Gesicht und Wange, die bedeckt waren von nervösen Flecken.
»Ich will Ethan Hayes sprechen!«, rief der Mann.
Franklyn warf ihm einen bedeutsamen Blick zu, einen Versau-es-jetzt-nicht-Blick erster
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