Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
sie laut Unterlagen einige Tage nach einem dieser Einsätze persönlich auf der Polizeiwache nachgereicht. Der Hausarzt war übrigens der Ehemann einer ihrer Stammtischdamen, die ebenfalls Ärztin war.
Alle Ermittlungsvorgänge waren jedoch im Sande verlaufen, mit Verweis auf den Privatklageweg eingestellt worden von der Staatsanwaltschaft. Wie die meisten Ermittlungsvorgänge dieser Art. Aber die Vorgänge waren aktenkundig und vermittelten zumindest den Eindruck, als ob Gewalt in dieser Beziehung keine Seltenheit gewesen wäre. Absicht?
Dreimal nämlich hatte sie in den letzten Wochen die Polizei in die eheliche Wohnung gerufen, weil sie »vom Feind in ihrem Bett« geschlagen worden sein will. Und einmal hatte sie Anzeige wegen Diebstahls erstattet, in
der sie ihren Mann beschuldigte, eine wertvolle chinesische Vase gestohlen zu haben, die ihr alleine gehört habe.
Allerdings wiesen diese Anzeigen bei genauerem Hinsehen einige Merkwürdigkeiten auf. In keinem Fall nämlich hatten die Beamten irgendwelche Verletzungen feststellen können und der anwesende Ehemann habe jedes Mal glaubhaft versichern können, dass es sich um rein verbale Streitigkeiten gehandelt habe und er selbst nicht verstehen könne, warum seine Frau die Polizei gerufen hat. Ganz plötzlich habe sie völlig hysterisch reagiert und herumgebrüllt, sie lasse sich von ihm nicht länger misshandeln. Obwohl er seine Frau noch nie in ihrer immerhin 22-jährigen Ehe geschlagen habe.
Das war alles, auf das wir zurückgreifen konnten. Ein kleiner Aktenvermerk, mehr nicht. Aber die Erfahrung zeigt ja immer wieder, dass man auch von toten Menschen eine Aussage bekommen kann. Man muss nur denoder diejenigen finden, denen sie zu Lebzeiten vertraut und denen sie sich vor allem anvertraut haben. Niemand ist dazu besser geeignet als eine Geliebte. Oder die beste Freundin. Dem besten Freund dagegen erzählt man nicht alles. Männer offenbaren sich nicht so schonungslos wie Frauen. Behaupte ich.
In unserem Fall hatten wir eine solche Person gefunden. Es war die Geliebte von Helmut W. Und sie wurde zu seinem Sprachrohr. Denn mit dieser Frau hatte er über alle seine Sorgen und Nöte gesprochen, vor ihr hatte er keine Geheimnisse. Es war so, als ob wir ihn selbst hätten vernehmen können. Sie sprach quasi stellvertretend für ihn, so gut, wie sie informiert war.
Helmut W.s Freundin war Hauptkommissarin und arbeitete in einer Verkehrsabteilung. Mit ihren 35 Jahren
war sie zehn Jahre jünger als ihr Liebhaber, der einer anderen Abteilung angehörte. Sie hatten sich in der Kantine kennengelernt und irgendwann angenähert. Helmut W. wohnte seit längerer Zeit schon bei ihr, kehrte aber absichtlich jeden Abend in die eheliche Wohnung zurück, um die Auflagen hinsichtlich des Trennungsjahres nicht zu verletzen. Sie hatte ihm davon abgeraten, aber er wollte es durchziehen. Zehn Monate hatte er schon hinter sich gebracht. Als die Zeugin gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könne, dass Helmut W. seine Frau geschlagen haben könnte, lächelte die junge Frau. Sie wisse von den Polizeieinsätzen, die von Annabella W. regelrecht inszeniert worden seien. Helmut W. sei eine Seele von Mensch gewesen, ein Mann, der keiner Fliege etwas zu leide tun konnte. Eine eher introvertierte Persönlichkeit, gebildet, großzügig, vernünftig und gütig. Auf seinen Sohn sei er sehr stolz gewesen, er habe ihn geliebt und konnte deshalb sogar damit leben, dass dieser nahezu ausschließlich der Mutter zugewandt war und ihn eigentlich seit Jahren nicht mehr beachtete. Seine Frau habe den eigenen Sohn gegen den Vater aufgehetzt. Das habe ihm sehr weh getan, aber er habe es hingenommen, um den Jungen nicht zu verwirren. Er wollte ihm alles ermöglichen, damit er seinen Weg gehen konnte, der ja sehr vielversprechend aussah. Der Mutter sei es ums Geld gegangen, sonst um nichts. Helmut W. wollte ohnehin alles seinem Sohn vermachen, da gab es nicht die geringsten Zweifel.
Niemand konnte eigentlich so recht verstehen, warum Annabella ihren Mann so grundlos beschuldigt hat. Sie habe ihn sogar wegen Diebstahls angezeigt, obwohl alle Gegenstände in der Wohnung sein Eigentum waren. Auch die chinesische Vase, die zwar sie ausgesucht, er aber bezahlt
hatte. Tatsächlich habe sie seit Wochen wertvolle Gegenstände verschwinden lassen. Obwohl er gar nicht vorgehabt hätte, Anspruch auf diese Gegenstände zu erheben. Außer den zwei oder drei Bildern, die er von seinen Eltern geerbt hatte. Es gebe
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